Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Der Krake

Der Krake

Titel: Der Krake Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: China Miéville
Vom Netzwerk:
ist eigentlich aus diesem Geschäft mit dem Händler geworden, von dem du erzählt hast?«
    »Ich kann immer noch nicht fassen, dass ich umziehen musste. Mein Vermieter ist ein Mistkerl.« Und diverser anderer Schnickschnack.
    »Wie ist es dir ergangen?«, fragte Bryn sie schließlich leise, und sie schüttelte nur den Kopf und rollte mit den Augen - das willst du nicht wissen -, ganz so, als ginge es um einen Abgabetermin, um ein Übermaß an Arbeit, um aus den Augen verlorene Zeit. Er drang nicht weiter in sie. Sie sahen sich einen Film an und gingen dann zu einem Dubstepkonzert. Unterwegs verloren sie Bryn und danach eine Frau namens Ellen. Schließlich gönnten sie sich ein spätes Abendessen, Tratsch und kreative Schimpfkanonaden. London tat sich auf.
    Wunder an der Old Compton Street: Soho war in dieser Nacht einfach beschissen schön. Vor Blackwell's Bookshop feierten massenweise Leute und tanzten unbeholfen Salsa. Die Cafés breiteten sich auf die Bürgersteige aus, und ein Fremder mit einem überzähligen Cappuccino, der von seinem vorgesehenen Abnehmer abgewiesen worden war, reichte Marge schulterzuckend das Getränk. Marge hätte über diesen bemerkenswerten Lauf der Welt beinahe die Augen verdreht, doch sie nahm den Cappuccino und trank jeden Schluck mit Genuss. Verlassene Finanztempel beobachteten das Geschehen vom Horizont: Die schlimmen Zeiten waren noch nicht ganz angebrochen, also konnten sie mit duldsamen Fensteraugen darüber hinwegsehen, wie Marge mit ihren Freunden spielte und einfach nur in London war.
    Es wurde spät, kurz vor Mitternacht, und die Zeit schien stillzustehen. Sie trank mit den verbliebenen Erschöpften in diesem endlosen spätabendlichen Moment inmitten lustig aufwirbelnder Papierabfälle und den Lichtern der Autos, die durch Zone eins glitten, als stünde die Welt nicht kurz davor, in Flammen aufzugehen. In den frühen Morgenstunden hatte Marge eine Verabredung.
    »Also schön, du frevlerische Blume«, sagte Diane, als das Kalenderblatt schließlich hinfällig wurde. »Es war wirklich schön, aber seit dem letzten Mal ist viel zu viel Zeit vergangen, also reiß dich in Zukunft ein bisschen zusammen.« Sie umarmte Marge und stieg hinab in die U-Bahn-Station Tottenham Court Road. »Mach's gut«, sagte sie noch. »Und komm gesund heim.«
    »Ja«, rief Marge ihrem Rücken zu. Das mache ich. Wann war daheim zuletzt ihr Heim gewesen? Sie nahm ein Taxi. Nicht zu irgendwelchen Geisterstraßen, nicht zu Trap Streets, natürlich. Die Erfahrung des Fahrers, das Wissen, das ihm sein Taxi eingebracht hatte, musste diese Straßen vor ihm verbergen. Stattdessen dirigierte sie ihn zu der Hauptverkehrsstraße, die ihrem Ziel am nächsten war, und ging von dort aus zu dem kleinen Schuppen im Osten Londons.
    Das Ding sah aus, als wäre es aus alten, abgerissenen Wänden, etwas Holz, Flechtwerk, Lehm und Mauerresten hingeklotzt worden. Es lag an einer schmalen Straße, an der viele ähnlich zusammengestoppelte Häuser standen und in der ein Mann, den sie auf komplizierten Onlinewegen aufgespürt hatte, auf sie wartete.
    »Sie kommen spät«, sagte er. Die Räume in dem zusammengepfuschten Haus waren trockener, schöner und ordentlicher gearbeitet, als Marge erwartet hatte. Zwischen moderfarbenen Polstermöbeln, Bildern in Schattentönen und Büchern, die aussahen und rochen, als bestünden sie zur Gänze aus Staub, stand ein Computer, eine Videospielkonsole. Der Mann mit dem Kapuzenpullover war in den Fünfzigern. Sein linkes Auge lag hinter etwas, was sie für eine Sekunde für eine komplizierte Hut-Brillen-Kombination im Cyberdogstil hielt, was jedoch, wie sie sogleich und heutzutage ohne mit der Wimper zu zucken erkannte, tatsächlich ein Teil eines Türbeschlags aus Metall war, der an seiner Augenhöhle festgelötet oder festgenäht worden war.
    Es war so angebracht, dass die Vorderseite seinem Gesicht zugewandt war. Alles, was er sah, sah er durch ein Schlüsselloch. Alles, was er sah, war ein Geheimnis, war verboten.
    »Sie sind spät dran.«
    »Sie sind Butler, richtig?«, fragte Marge. »Ich weiß, aber was kann man machen. Der Verkehr ist scheußlich.« Sie nahm das Geld aus ihrer Tasche, eine Rolle, die von einem Gummiband zusammengehalten wurde. Wenn die Welt nicht endet, dachte sie, bin ich finanziell ruiniert.
    Die Luft wirbelte durch den Raum, als wolle sie ihre Wahrnehmung vernebeln. Dinge, die still stehen sollten, Dinge wie Aschenbecher und Lampen, schienen sich ein winziges

Weitere Kostenlose Bücher