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Der Krake

Der Krake

Titel: Der Krake Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: China Miéville
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herankamen.
    »Was singen sie?«, fragte er.
    »Nur eineinhalb«, antwortete Dane. Nur eineinhalb! Nur eineinhalb! »So viele werden sie töten, ganz egal, wie viele sie töten.«
    »Was?«
    Sie zitierten das Mahavamsa, die ideologische Bestätigung für König Dutthagamani, nachdem dieser Tausende Nichtbuddhisten niedergemetzelt hatte. ›Nur eineinhalb menschliche Wesen sind durch dich getötet worden. Ungläubige und Sittenlose waren die übrigen, nicht achtbarer als Vieh.‹ Eineinhalb, das war die Zahl, die die Jesusbuddhisten in der Masse der Toten nach jedem von ihnen angerichteten Gemetzel zählten, ganz im Sinne einer sorgfältigen religiösen Bilanzierung.
    »Halte dich bereit.« Dane hob seine Waffe. »Wir wissen nicht, was auf uns zukommt.«
    Ob die konkurrierende Glaubensgemeinschaft wohl fernbleiben würde? In dem Falle würde die Apokalypse der Siddhartaner kampflos gewinnen, aber was dann? Die Zuschauer, die gerade außer Sichtweite verharrten, waren in Erwartung eines Gotteskrieges gekommen. Dinge, zu groß für Vögel und zu tierhaft, um aufgewehte Plastikfetzen zu sein, kreisten im Wind. Endzeiten schickten stets Vorboten voraus, trieben sie hervor wie Maden in totem Fleisch.
    »Oh«, flüsterte Dane. »Schau.«
    Im Schutz einer fensterlosen Wand erkannte Billy eine Gruppe von Helmträgern, die einen anderen Mann umringten. Adrenalin überschwemmte seinen Körper. Das Tattoo. »Er ist genauso hier wie wir«, wisperte Dane. »Er will sehen, was das ist.«
    Da war der Punkermann in seiner mit Gucklöchern versehenen Lederjacke. Zwei der Männer mit den Sturzhelmen hielten ihn in einer Gasse fest, von der aus man das Schlachtfeld im Auge hatte. Er selbst starrte in die Gegenrichtung, ins Nichts, zu den dunklen Straßen, doch Tattoo sah genau hin.
    »Jesus«, sagte Billy. »Wo sind Goss und Subby?«
    »Falls die hier sind ...«, erwiderte Dane. Die Siddhartisten bauten einen provisorischen Altar auf, um ihre geheimnisvollen Zeremonien durchzuführen. »Wati?« Aber Wati war erneut zu einem Kontrollgang aufgebrochen. »Wenn was immer diese ›Tierkirche‹ ist, nicht erscheint, dann verschwinden wir.«
    Hinter dem nächtlichen Dunst zuckte ein Blitz. Ganz still. Er riss Wolkenkonturen aus dem Dunkel. Die Luft fühlte sich schwer an, und die Autos heulten weiter über die Straße. Von dem Altar ging ein unangenehmer Lichtschein aus. »Los geht's«, sagte Dane.
    Über dem ganzen Geschehen bewegte sich die Wolke mit großer Geschwindigkeit, nahm Form an. Kirchengroße Fetzen schwanden und hinterließen - das war kein Irrtum - Nachtmaterie von pummeliger anthropoider Form, eine vage menschliche Gestalt, so plump wie eine Alraunwurzel, eine mächtige, kreuzförmige Gestalt, die sich über die Stadt ausdehnte.
    Billy hielt den Atem an. »Wenn das das Ende ist«, sagte er schließlich, »dann hat das nichts mit Feuer zu tun ... Was machen wir jetzt?«
    »Das geht uns nichts an.« Dane war die Ruhe selbst. »Es wird kein Mangel an Leuten herrschen, die sich dem in den Weg stellen. Wenn es hier nur um irgendeine lächerliche Apokalypse geht, müssen wir uns keine Sorgen machen.«
    Dann erhob sich die Erde auf dem toten Land, die hässlichen, staubigen Sträucher und der Schutt. Männer und Frauen entstiegen ihren getarnten Verstecken und rückten behände vor.
    »Die waren die ganze Zeit da«, stellte Dane fest. »Gute Arbeit. Aber wer sind die?«
    Jene, die aus ihren Löchern stiegen, trugen Leder. Gurte hingen kreuzweise über ihrem Oberkörper. Sie umzingelten die Jesusbuddhisten. Über allem dräute der Wolkenmann.
    »Scheiße«, fluchte Dane und drehte sich zu Billy um. »Nichts als Zeitverschwendung«, sagte er matt. »Das ist Brut. Hat mit Kraken nichts zu tun. Anderes Tier.«
    »Was? Ernsthaft?«
    »Hier gibt es für uns nichts zu sehen.«
    »Wir wussten ja, dass das arg spekulativ war«, sagte Billy.
    Die in Neasden beheimateten Angehörigen der Weltkirche Brut beteten einen Kriegsgott in Form eines Iltisfrettchens an. Ihre kompromisslose Ontologie lehnte es inzwischen entschieden ab, diese Gottheit nur als eine Dewa unter vielen im Hinduismus anzusehen, aus dem dieser Glaube verbissen herausgelöst worden war. Die Brut war zu einer eingeschränkteren monotheistischen Religion geworden. Der Umstand, dass die Brut vom südlichen Indien inspiriert war und eine Vorliebe für die Kampfkünste Keralas hegte, lieferte den Christos Siddharthanern einen Aufhänger für ihre Vorurteile. »Tamilen!«, schrien

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