Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Der Krake

Der Krake

Titel: Der Krake Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: China Miéville
Vom Netzwerk:
flüsternd, lockend, bettelnd oder erpresserisch, und er flehte seine Leute an, sich fernzuhalten. Sein körperloses Selbst wurde in dieser von Nervosität gezeichneten Nacht hin- und hergeschleudert. Böiger Äther blies ihn in die falschen Körper. In hohem Tempo umkreiste er die Arena. Aus den Augen einer weggeworfenen Bleistiftfigur in Form eines Roboters sah er zu, wie eine Frau mit Hilfe magischer Entfesselungskunst vor einer Sammlerin floh. Sie hatte etwas an sich, das ihn anzog, und er wäre gern näher herangegangen, vielleicht in die Figur, die an ihrem Hals hing, doch da geriet plötzlich Bewegung in die ganze Sache.
    »Pimmelrotze«, sagte Collingswood und beugte sich vor. Eine Frau bewegte sich langsam um das Gelände. Collingswood machte eine knappe Bewegung, so, als würde sie Vorhänge ein winziges Stück weit öffnen. Ein Streifen der Nacht zwischen ihnen und der näher kommenden Frau wurde vorübergehend heller und bot ihr eine klarere Sicht. Collingswood blickte hinaus, seufzte, löste ihre Finger, und die Dunkelheit kehrte zurück.
    Der Mann neben Collingswood gaffte sie an. Sie würdigte ihn keines Blickes.
    »Boss«, sagte sie, als spräche sie mit der Luft. »Nee, Boss, keine Spur von ihnen, aber ich bin ziemlich sicher, dass ich jemanden gesehen habe. Erinnern Sie sich an die Dame, die Leons Gespielinnenrolle übernommen hat? Die ist hier ... Scheiße, woher soll ich das wissen? Tja, ist ihr eigener, blöder Fehler, nich' wahr?« Aber noch während sie die letzten Worte sprach, seufzte sie, schlüpfte in ihre zivile Jacke und öffnete die Tür.
    Sie zeigte auf ihren zeitweiligen Partner. »Bleib«, sagte sie. »Guter Hund.« Sie schlug den Kragen hoch, und fort war sie. Als sie sich der nervös aussehenden Frau näherte, konnte sie sie murmeln hören.
    Wati wäre auch näher herangegangen, wären da nicht die Neuankömmlinge gewesen. Endlich, spät, beschritten sie das Brachland. Gekleidet in gelbe Overalls, Zubehör in Händen und streitlustige Blicke in alle Richtungen verschießend, näherte sich eine Gruppe Männer mit rasierten Schädeln.

62
    Marge konnte nicht hören, was die neue Gestalt sagte, die plötzlich auf sie zukam, nicht bei diesem schwatzhaften, vergnügten, miserablen Gesang in ihren Ohren. Sie sah eine junge Frau, deren Mund Worte bildete, während sie mit solch einer Autorität heranstolzierte, dass Marges Herz einen Satz tat und sie verzweifelt den iPod weiter aufdrehte. Der Raum glitt davon, torkelte. Die kleine Stimme in ihren Ohren brüllte den aufgeregten Refrain eines Stückes von Belinda Carlisle, und die Mauersteine um Marge herum rauschten in wilder Flut vorüber. Sie zog weiter wie ein Floß im Wildwasser und lachte sogar über sich selbst, während sich die Bewegung infolge der heftigen Reaktion fortsetzte. Wie willst du dich dem wirklich Schlimmen stellen, was da kommt? Ihr war gar nicht bewusst gewesen, wie angespannt und verängstigt sie wegen des bevorstehenden Endes war.
    Erst, als sie zur Ruhe kam - auch wenn ihr diese Formulierung sonderbar erschien angesichts der Tatsache, dass sie sich gar nicht bewegt hatte, sondern nur das Straßenpflaster unter ihr, die Wände neben ihr und die Dächer über ihr -, erst kurz bevor der Fuß, der an einem anderen Ort angefangen hatte, sich für den nächsten Schritt dem Boden anzunähern, wieder aufsetzte, stellte sie fest, dass sie die Frau kannte, die sie gerade gesehen hatte. Es war die rüde, junge Polizistin gewesen.
    Die gerade frustriert herumbrüllte, als die flüchtigen Rückstände von Marges Präsenz wie geschmolzene Butter vor ihr verbrutzelten und davonstoben. Ihre Krakeelerei wurde unterbrochen, und sie blickte sich um nach dem falschen Geschehen, das einzufädeln sie geholfen hatte.
    »Was ist das?«, fragte Billy. Die Neuankömmlinge trugen Militärstiefel und bewegten sich wie Soldaten. Die Straßen am Rande des offenen Geländes verschwanden halb hinter Plakatwänden. Sollten Autofahrer zu ihnen herabblicken, so würden sie vielleicht annehmen, das, was sie sahen, wären Gemeindearbeiter bei irgendeinem notwendigen spätabendlichen Arbeitseinsatz.
    »Jesusbuddhisten«, sagte Dane. »Böse.« Dharmapalitische Rassisten, Anhänger von Christos Siddharta, vermengten Jesus und Buddha in sehr speziellen Formen zu einem Erlöser, ergingen sich in brutalem Identitarismus, alles in allem eine sehr martialische Mischlehre. Billy hörte einen Rhythmus, einen kleinen Singsang, als die Gestalten

Weitere Kostenlose Bücher