Der Krake
starrte sie an, als sie ihn lachend anstupste, beinahe, als hätte sie ihre Gedanken laut ausgesprochen.
»Wo ist der Scheißkerl? Das ist frech, wenn man bedenkt, dass das seine Idee war«, sprach Baron in ihren Schädel.
Sie hatte es tatsächlich genossen, alles zu organisieren. Vorwiegend hatte Vardy festgelegt, wo es langging, hatte vorgeschlagen, was man wem wann und wo zuraunen sollte, welche Gerüchte über welche Foren zu verbreiten waren und welche Implikationen zu verschweigen. All das hatte sie ihm nur zu gern überlassen. Sie friemelte gern herum, aber das strategische Gesamtkonzept überließ sie lieber jemand anderem.
Ihre eigenen Erkundigungen an Stätten, die weniger epochal waren als die, an denen Vardy seinen Gedanken nachhing, näher an den alltäglichen Grenzen zwischen Religion und Mord, gingen nur mühselig voran. Sie war hinter den Waffenwirten her. Wie verdammt mönchisch sie sich auch gaben, letztendlich ließen sie sich dafür bezahlen, Leute umzubringen. Also hatten sie Einnahmen, wie weltfern und magisch auch immer. Und wo es Spuren dieser Art gab, da gab es auch Gerede, von dem ein wenig, langsam, aber doch, einen Weg in ihre Lauscher fand.
Collingswood behielt nur sehr am Rande im Auge, wen Vardy wie manipulierte; das interessierte sie schlicht nicht genug. Vielleicht hielt ein Teil von ihr dieses Desinteresse für unvernünftig und dachte, sie täte gut daran, die Spielregeln zu erlernen, aber, so überlegte sie auf der anderen Seite, es reichte ihr völlig, für die Machiavellis dieser Stadt die Lohnarbeit zu leisten. Sie tat ganz einfach das gern, was sie gut konnte. Und die Hinweise, die sie hinsichtlich des fragwürdigen Endes gesät hatte, das sie und Vardy ausgeheckt hatten, waren offensichtlich ganz besonders verlockend. Vielleicht würde sie schon bald jemanden festnehmen können.
Collingswood sagte weiter nichts zu Baron, aber sie hörte, dass er die Verbindung beibehielt, als rechnete er damit, dass sie sich wieder zu Wort meldete.
Marge betastete ihr Kruzifix und ignorierte das Summen des iPods, das an den Gesang eines kleinen Kindes erinnerte. Alle paar Minuten gingen Leute vorbei, oder sie ging etwas weiter und an anderen vorbei, die telefonierten, sich hastig bewegten und gar nicht auf den bedeutungslosen, unkultivierten Verfall an jenem Ort achteten, an dem was immer passieren sollte. Marge hätte behauptet, sie wäre die Einzige, die die Umgebung im Auge behielt, bis eine Frau hinter einem Laternenpfahl auftauchte, der zu schmal war, sie je verborgen zu haben.
Hey, formten die Lippen der Frau, doch Marge konnte sie nicht hören. Die Frau war schon älter und trug einen modernen dunklen Mantel. Ihre Züge waren scharf, ihr langes Haar perfekt frisiert, und ihr hafteten alle nur denkbaren Sonderbarkeiten an. Du bist deswegen hier, formten ihre Lippen, und plötzlich war sie viel näher, als sie mit so wenigen Schritten hätte kommen dürfen.
Voller Furcht drehte Marge ihren iPod auf. Der tonlose Gesang umfing sie. Warte, sagte die Frau, doch die Stimme des iPods arbeitete sich durch »Eye of the Tiger« und wehte Marge davon, eine Bewegung, ganz im Londoner Stil, eilig und absonderlich gleichermaßen. Alles war ein wenig unklar, doch binnen Augenblicken war sie an einem anderen Ort und die Frau fort. Marge guckte dumm aus der Wäsche und streichelte ihren iPod zum Dank. Dann sah sie sich um und beobachtete weiter.
War es erschreckend, dass zwei Religionen sich nicht nur ihre letzte Nacht teilen sollten, sondern dass sie diese zudem am selben Ort begehen würden? Wiederholt und beharrlich war erklärt worden, wo die Enden stattfinden könnten, Erklärungen, die miteinander wetteiferten, Prophezeiungen, die einer »genaueren Betrachtung« unterzogen werden mussten, und derweil waren die Orte immer näher zusammengerückt, bis sie schließlich auf einen Punkt fielen.
Repräsentanten vieler Faktionen warteten ganz in der Nähe. Kultsammler nahmen Wetten auf das Ergebnis an. Die vagabundierenden Magier Londons kamen herbei, begierig, die Fetzen der Macht und der Energie einzusammeln, die freigesetzt werden mochten, und viele wurden von ihren Vertrauten begleitet, die in der Endphase des Streiks geschlagen zu Kreuze gekrochen waren. »Oh, nein«, sagte Wati in Billys Tasche, als er seine beschämten Gewerkschaftsmitglieder erblickte. »Ich muss ... ich muss ein paar Kontrollgänge machen.«
Es war deprimierend. Wati wehte von einer Steinfigur zur nächsten,
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