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Der Krake

Der Krake

Titel: Der Krake Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: China Miéville
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Krakenkirche. Die letzten Krakenisten standen wie gehorsame Kinder in Reih und Glied vor dem gewaltigen Schnabel in ihrem Tempel.
    Die Londonmantiker saßen in ihrem Lastwagen und schlängelten sich durch die nahen Vororte. Fitch und ein paar seiner verbliebenen Gefolgsleute waren in eine sonderbare Lage geraten. So ablehnend sie dieser Kriegsstrategie gegenüberstehen mochten, waren sie doch an sie gebunden, da von ihrem Erfolg abhing, was weiter passieren würde. Und da sie in der Diskussion unterlegen waren, konnten sie nun weiter nichts tun, als die Gewinner unterstützen. Eine extreme Form gemeinsamer Verantwortungsübernahme. Die Londonmantiker würden jene der ihren, die zum Kampf bereit waren, in die Schlacht schicken.
    Die Krakenisten wussten nur aus Legenden, was aus ihnen werden mochte, zögen sie in diesen Kampf, altargewandelt und frisch in die Armee gezwungen. Ein Regiment der Überbleibsel. Wagen warteten auf die Gequälten, die Gesegneten, jene, die kurz davorstanden, gebissen zu werden. Die Krakenisten sagten einander auf Wiedersehen. Und wenn sie sich umarmt hatten, so würden sie durch London fahren, zu einer alten Tintenfabrik - unbehaglich schweigend? Dem Radio lauschend?
    Kräftige Sektenangehörige hielten die Krakenkiefer und stützten sie zu beiden Seiten. Sie beteten hörbar.
    »Sind das alle?«, fragte Billy.
    Dane nickte. Nur wenige der letzten verbliebenen Kirchenmitglieder hatten erst überredet werden müssen. Billy sah Dane an.
    »Du bist auch dabei?«, fragte er.
    »Ja.«
    »Dane ...« Billy schüttelte den Kopf und schloss die Augen. »Bitte ... kann ich dich irgendwie überzeugen, es nicht zu tun?«
    »Nein. Alles bereit?« Dane war nach wie vor ein frommer Krakenist. »Dann bringen wir es hinter uns.«

73
    Billy saß im hinteren Bereich der Kirche und verfolgte diese letzte aller Krakenmessen. Er sah Tränen und hörte Dankgebete. Dane stockte zwar, wiederholte jedoch mit viel Würde jene Liturgie, an der er selbst lange nicht hatte teilhaben können. Die Herde, die ihren Hirten verloren hatte, hütete sich selbst. Billy rutschte unruhig auf seinem Sitz herum und spielte mit dem Phaser in seiner Tasche.
    Die Gemeinde sang Hymnen zu Ehren von torpedoförmigen, vielarmigen Göttern. Am Ende sagte Dane: »Also gut.«
    Einige der Freiwilligen bemühten sich um ein Lächeln, als sie sich in einer Reihe aufstellten. Einer nach dem anderen legte die Hand auf die Spitze des Krakenkiefers. Die Scharnierhalter drückten mit äußerster Vorsicht die beiden Kiefer über ihrer Haut zusammen. Zweimal riss die hakenförmige Spitze tiefere Wunden als beabsichtigt und entlockte den Gläubigen einen Aufschrei. Doch die meisten Happen erfolgten präzise - die Haut platzte geringfügig auf, und es floss ein wenig Blut.
    Billy wartete ab, wartete auf das anschließende Drama. Die Gebissenen wirkten schwerfällig und zahlreich und schienen die höhlenartige Halle zu verstopfen. Sie umarmten einander und hielten sich die blutenden Hände. Dane, der Letzte in der Reihe, legte seine eigene Hand zwischen die Kiefer und ließ sie mit Hilfe der Gemeinde zubeißen. Billy tat schlicht gar nichts.
    Der Plan war einfach oder auch dumm. Sie hatten keine Zeit, zu wenig Leute und zu wenig Erfahrung, um sich um Feinheiten zu kümmern. Sie hatten einen Vorteil und nur einen, und der lag darin, dass Grisamentum nicht ahnte, dass sie wussten, wo er war, dass sie auf dem Weg zu ihm waren. Ihnen blieb nur das Überraschungsmoment. Eins-zwei, Irreführung und Angriff. Jeder, der mehr als eine Sekunde nachdachte, musste verstehen, dass an erster Stelle ein Ablenkungsmanöver stehen musste. Also sollte er diese Sekunde nicht bekommen.
    Sie hatten ein paar Pistolen, Schwerter und magische Gegenstände unterschiedlicher Machart. Sie wussten nicht, was Grisamentum derzeit war. Tintig auf Papier oder in Lösung? Er war dem Tod schon einmal entgangen. Feuer mochte ihn austrocknen, aber es würde seine Pigmente nicht vernichten. Also Bleichmittel. Das schien ihn geängstigt zu haben. Sie hatten es flaschenweise dabei. Ihre wichtigste Waffe war ein Haushaltsreiniger. Ein paar hatten sich mit Bleiche gefüllte Blumensprüher in den Gürtel gesteckt wie klobige Feuerwaffen.
    »Dann mal los«, sagte Billy schließlich zu Dane. Er führte ihn hinaus zum Wagen. Nun war er der Fahrer. Er brauchte nicht einmal eine Wegbeschreibung, und er fuhr wie ein Mann, der genau wusste, was er tat. Unterwegs aber sah Billy stur geradeaus, nur um

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