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Der Krake

Der Krake

Titel: Der Krake Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: China Miéville
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Oberkörper war unbekleidet. Die Hände im Schoß, saß er auf einem Hocker.
    Billy war benommen, und ihm war schlecht von all dem, was in dieser Nacht geschehen war. Er bemühte sich redlich, nicht zu glauben, was er sah. Versuchte, sich vorzustellen, er könnte einfach erwachen.
    »Verflixter Billy Harrow«, sagte der Punk. »Vergewissert euch, was die Schlampe macht.«
    Eine der behelmten Gestalten verdrehte einen Regler an der Brust des Radiomannes, und dessen Mund wechselte abrupt zu neuen Formen, während die Musik endete. Stattdessen brach ein immer wieder unterbrochenes Flüstern aus ihm hervor, und er sprach kaum hörbare Dialoge mit den Stimmen von Männern und Frauen.
    »Roger, Sarge, IC2«, sagte er, und: »Sprechen Sie mit Vardy, ja?«, und: »Voraussichtliche Ankunft in 15 Minuten. Over.«
    »Noch nicht da«, meldete der Maskenmann. »Sie besuchen dein altes Zuhause.« Seine Stimme war laut und tief zugleich, und er sprach mit Londoner Akzent. Goss schob Billy auf ihn zu. »Dann legen wir mal los«, sagte er. »Müssen wir jetzt um jede Menge heißen Brei herumschleichen, Billy Harrow? Oder kannst du mir einfach erzählen, für wen du arbeitest und was du tust? Kannst du mir freundlicherweise einfach sagen, was heute Nacht los ist, was du in Gang gesetzt hast? Denn da draußen ist etwas. Und, um verdammt noch mal zum Punkt zu kommen, was, bitte schön, führst du im Schilde?«
    »Was ist hier los?«, wisperte Billy endlich. »Was habt ihr mit Leon gemacht?«
    »Leon?«
    »Ach, ihr wisst doch, wie das ist«, sagte Goss. »Ihr wetteifert beide um die schönste Pastete, und ehe ihr es euch verseht, ist sie schon gegessen.«
    Goss hielt Billy wie eine Puppe, und der kleine Subby umklammerte Billys Hände mit den seinen.
    »Was ist hier los?«, fragte Billy. Er starrte umher, fixierte den Radiomann. »Was ist das?«
    Der sitzende Mann seufzte. »Scheiße«, sagte er. »Das könntest du sein.« Seine Glotzaugen schauten unverändert. »Lass es mich so fragen: Billy? Was zum Henker bist du?«
    Er drehte sich auf seinem Hocker, hob die Hände ein wenig und blinzelte heftig. »Für wen arbeitest du?«, fragte er. »Was bist du?«
    Billy bemerkte, dass das Tuch nicht im Cowboystil gebunden war, sondern planlos in dem Mund steckte. Der Mann war geknebelt. Er schüttelte die Hände, und Billy sah, dass er Handschellen trug.
    »Dreh den verdammten Kopf!«, fuhr die Stimme fort, die Stimme, die von dem Mann kam, der nicht sprechen konnte. »Umdrehen!« Einer der behelmten Wächter schlug dem geknebelten Mann brutal ins Gesicht, und er schrie gedämpft in das Tuch. »Stellt das Arschloch auf die Beine.« Zwei Wächter packten ihn unter den Achseln und rissen ihn hoch. Sein Kopf hing haltlos herab. »Zeigen«, sagte die Stimme. Die Wächter drehten den Mann so, dass sein Gesicht der rückwärtigen Wand zugekehrt war.
    Farben erschienen. Der ganze Rücken des Mannes mit dem freien Oberkörper war tätowiert. An den Rändern gab es bunt verwirbelte Streifen, vermengte Fraktale im keltischen Knotenmuster. In der Mitte aber prangte ein großes, dunkel umrandetes stilisiertes Gesicht. Kühn und fachmännisch ausgeführt. Ein Männergesicht in unnatürlichen Farben. Ein kantiges, altes Gesicht mit roten Augen, eine Mischung zwischen Professor und Teufel. Billy starrte es an.
    Die Tätowierung bewegte sich. Ihre schweren Lider öffneten sich. Billy starrte das Tattoogesicht an, und das Tattoo starrte ihn an.

12
    Billy brüllte seinen Schrecken hinaus und versuchte, zurückzuweichen, aber Goss hielt ihn fest.
    Die Wächter hielten den Mann mit der Punkfrisur aufrecht. Die tätowierten Augen huschten von einer Seite zur anderen wie in einem Trickfilm, als würden die Bilder auf den Rücken projiziert. Die dicken schwarzen Ränder, die abgestuften blauen, blaugrünen und kupfernen Abschnitte der Haut, alles geriet in Bewegung, als das Gesicht die Lippen schürzte, bevor sich ein Loch von dunkler Tinte öffnete, ein gemalter Mund. Und der Mund sprach mit dieser tiefen Londoner Stimme.
    »Wo ist der Krake, Harrow? Welches Ziel verfolgst du? Was will Barons Bande von dir?« Der Radiomann flüsterte statisch.
    »Was sind Sie ...?«
    »Ich will dir mal unser Problem erklären«, sagte die Tätowierung. Der Mann, auf dessen Rücken sie prangte, wehrte sich gegen den Griff der Wächter. »Mein Problem ist, dass niemand dich kennt, Billy Harrow. Du kommst aus dem Nichts. Niemand weiß, welche Interessen du verfolgst. Und normalerweise

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