Der Krake

Titel: Der Krake Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: China Miéville

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hätte sein dürfen, an dem sie es entdeckte. Sie fing an, die Dinge zu durchdenken.
    Nicht, dass sie eine schlechte Schülerin war, dennoch wären Collingswoods Lehrer vermutlich beeindruckt gewesen, hätten sie gesehen, mit welcher Sorgfalt sie ihre Nachforschungen betrieb. Sie begann mit einigen vorsichtigen Online-Schnüffeleien und stellte eine Liste mit Büchern und Dokumenten zusammen. Das meiste konnte sie von irgendwelchen albernen Websites herunterladen, Texte, für die ein Copyright nicht unbedingt als angemessen gelten konnte. Die Titel derer, die sie nicht aufspüren konnte, schrieb sie eifrig nieder und bestellte sie bei überraschten, ja, sogar besorgten Bibliothekaren und Buchhändlern. Ein- oder zweimal wurde sie sogar fündig.
    Mehr als einmal bahnte sie sich einen Weg durch eine alte, von Unkraut überwucherte Parkgarage zu einer kleinen, längst verlassenen Klinik in der Nähe ihres Zuhauses und schlich sich durch eines der kaputten Fenster hinein. In der Stille der ehemaligen Wöchnerinnenstation führte sie pflichtbewusst die idiotischen Handlungen durch, die in ihren Texten beschrieben wurden. Sicher, sie kam sich blöd vor, aber sie tat, was gefordert wurde, und rezitierte alle zugehörigen Phrasen.
    In ihrem Notizbuch hielt sie fest, was sie bereits probiert, wo sie davon gelesen hatte und ob irgendetwas dabei herausgekommen war. DAS BUCH THOT = DAS BUCH DES TOTALEN UNSINNS, schrieb sie. LIBER NULL = NULL PUNKTE.
    Meist erzielte sie keinerlei Wirkung oder gerade genug, um bei der Stange zu bleiben (ein Rascheln hier, ein zweifelhafter Schatten dort). Aber als sie sich über ihre Studien ärgerte, die Geduld verlor und sie still verwünschte und folglich weniger präzise arbeitete, erzielte sie ihren größten Fortschritt.
    »Das war's für heute. Ihr dürft früher gehen.« Während sie zusammen mit dem Rest der Klasse ihre Bücher packte, musterte Collingswood den Ausdruck des Schreckens, der sich angesichts ihrer eigenen Worte über Miss Amblys Züge gelegt hatte. Verwirrt berührte die Frau ihre Lippen. Collingswood schnippte mit den Fingern. Ein Stift kreiselte von Miss Amblys Tisch herunter.
    Und später: »Was macht er da, Sir?«, fragte ein Mädchen einen recht verwirrten Lehrer und zeigte auf den Klassengoldfisch, der mit höchst unnatürlichen Bewegungen in seinem Glas schwamm. Collingswood setzte unbemerkt fort, was sie in einem Moment des Ärgers angefangen hatte, und scharrte mit den Händen über den Tisch, als wollte sie den DJ zum Klingelton eines Klassenkameraden geben, dessen Rhythmen ganz unerwartet das Vor-und-zurück des Fisches im Glas diktierten.
    Das war Jahre her. Seither hatte sie viel an sich gearbeitet, hatte viel herumgebastelt, viele Experimente durchgeführt, aber noch immer kam ihr die eigene Ungeduld bei ihren Forschungen in die Quere. Allmählich begriff sie, dass diese Eigenschaft ihr unüberwindliche Grenzen setzen würde. Sie war fraglos begabt, und sie konnte ihr Talent zur Grundlage ihres Berufes machen, aber sie würde nie zu den Besten gehören. Seither war sie einem oder zwei dieser Besten begegnet. Sie hatte sie in dem Moment erkannt, in dem sie den Raum betreten hatten.
    Aber ihre Grenzen zeigten auch unerwartete Auswirkungen, und nicht alle davon waren schlecht. Ihr Unvermögen, diese Fähigkeiten mit strikter Präzision und in höchster Vollendung anzuwenden, führte zu einer Verwirrung, bei der sich die einzelnen Elemente vermischten und kleinere Rückströmungen entstanden. Meistens waren das nur bedeutungslose Nebenwirkungen und Fehler, aber nur meistens.
    Beispielsweise war das Sicherungssystem, das sie an Billys Tür installiert hatte, nur zur Abwehr von Eindringlingen vorgesehen. Dass es auch im umgekehrten Fall reagierte, sei es auch nur schwach, war nicht vorgesehen, sondern schlicht eine Folge von Collingswoods beeindruckenden, aber schludrigen Methoden.
    Einem Perfektionisten hätte das keine Ruhe gelassen. Aber dieser Perfektionist wäre auch nicht alarmiert worden, als die Eindringlinge Billy aus einer Wohnung herausholten, in die sie nie eingebrochen waren. Collingswood hingegen erwachte ruckartig, mit einem Herzschlag wie ein Gong und schmerzenden Ohren, und war für mehrere Augenblicke völlig verwirrt.

11
    Sie saßen in einem verbeulten Wagen. Goss, der Mann, fuhr, und auf der Rückbank hielt der Junge, Subby, Billys Arm.
    Subby hatte keine Waffe, und sein Griff war nicht sehr fest, aber Billy regte sich nicht. Er war erstarrt, als