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Der Krake

Der Krake

Titel: Der Krake Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: China Miéville
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der Junge und der Mann sich in seiner Wohnung entfaltet hatten - ihr Eindringen, die Art, wie Welt und Wirklichkeit sich von da an vollzogen wie im Drogenrausch. Billys Gedanken drehten sich im Kreis. Er fühlte sich, als würde er über die Zeit geschleift. Tauben flogen in Schlieren hinter dem Wagen, Tauben, die ihm schon seit Tagen zu folgen schienen. Was zum Teufel, was zum Teufel ist nur los, dachte er. Und: Leon.
    Im Wagen roch es nach Essen und Staub und manchmal nach Rauch. Goss' Gesicht gehörte nicht in diese Zeit. Er sah aus, als hätte man ihn aus den Fünfzigern gestohlen. Ihm haftete eine gewisse Nachkriegsgrausamkeit an.
    Zweimal zuckte Billys Hand, und er stellte sich vor, wie er sich hastig befreite, die Tür aufstieß und sich hinaus auf die Straße stürzte, sich abrollte und vor diesen geheimnisvollen Entführern flüchtete. Wie er die Kunden in dem türkischen Lebensmittelladen und dem Wimpy-Hamburgerbräter um Hilfe bat, wie er durch - wo waren sie, Balham? - rannte. Jedes Mal, wenn ihm dieser Gedanke in den Sinn kam, machte Goss ts-ts, und Subbys Hand packte fester zu, und Billy blieb einfach sitzen.
    Goss hatte keine Zigarette, aber alle paar Atemzüge exhalierte er süßen, holzigen Rauch, der den Wagen ausfüllte und wieder verschwand. »Was für eine verflixte Nacht für so was, hä?«, sagte er. »Hä, Subby? Was is' mit der Rumspaziererei? Da will einer draußen rumlaufen, der das nicht tun sollte, hab ich Recht, Kumpel? Da ist einer aufgewacht, Subby.« Er drehte das Fenster mit der altmodischen Handkurbel runter, blickte hinaus und zum Himmel empor und drehte es wieder rauf.
    Sie fuhren durch Straßen, von denen Billy nichts wahrnahm. Sie mussten draußen in Zone drei oder vier sein, dort, wo die Läden überwiegend Schlüsseldienste und eigenständige Büroartikelhändler beherbergten. Sie passierten keine großen Ketten. Kein West Coast Coffee, nicht ein Tesco. Konnten das noch Straßen sein? Garagen, Bauhöfe, Judoschulen, kaltes Pflaster, über das still der Abfall wehte. Der Himmel hatte auch die letzte Ritze geschlossen, und es war Nacht. Billy und seine Entführer folgten Schienen, begleiteten eine Weile einen hell erleuchteten Zug. Er geleitete sie irgendwohin. Sie hielten an einer dunklen Durchfahrt.
    »Hopp-hopp.« Goss blickte misstrauisch auf und schnüffelte, ehe er Billy aus dem Wagen zerrte. Billy glaubte, er müsse sich übergeben. Er taumelte. Goss exhalierte eine seiner Rauchexhalationen, öffnete ein Tor in einer Wellblechwand und stieß Billy in die dahinterliegende Schwärze. Subby zupfte von irgendwo an ihm.
    Goss redete mit Billy, als führten sie ein Gespräch. »Jetzt so weit?«
    »Keine Ahnung, schon möglich. Hast du alles?«
    »Also gut, geh zur Tür. Fertig?«
    Etwas öffnete sich. Die Luft in Billys Gesicht veränderte sich. Goss flüsterte: »Still jetzt.«
    Der Raum, in dem sie sich befanden, roch nach Feuchtigkeit und Schweiß. Etwas regte sich. Da waren Geräusche, ein Brutzeln und Knacken. Licht flammte auf.
    Es gab keine Fenster. Der Boden bestand aus dreckigem Beton. Die Ziegel, die sich in die Höhe wölbten, waren von Schimmel gezeichnet. Der Raum war riesig. Goss stand an der Wand und hielt einen Hebel fest, den er gerade umgelegt hatte. Der Raum war voller Lichter, die an Drähten baumelten oder wie Pilze aus Ritzen in den Wänden wucherten.
    Goss fluchte verhalten, als wäre er von neugierigen Schweinen umringt. Billy hörte ein Radio. Eine Gruppe Leute wartete. Gestalten in Lederjacken, dunklen Jeans, Stiefeln und Handschuhen. Manche trugen Band-T-Shirts, alle Motorradhelme. Sie hatten Pistolen, Messer und abscheuliche, mit Nägeln bewehrte Keulen wie aus einem Cartoon. Ein Radio spielte statisch gestörte klassische Musik. Sie klang verzerrt. Da war ein nackter Mann auf allen vieren. Seine Lippen flatterten. Man hatte ihm Regler eingebaut über jeder Brustwarze. Er blutete nicht, aber sie ragten klar erkennbar aus seinem Körper hervor. Sein offener Mund war die Quelle der Radioklänge. Seine Lippen bewegten sich, um die Musik hervorzubringen, die Interferenzen, die Geistersignale anderer Sender.
    Auf einem gemauerten Podest wartete ein Mann. Ein alter, dürrer Punk mit Stachelhaaren. Sein Mund verbarg sich hinter einem Tuch. Seine Augen waren so sehr geweitet, dass er einen verstörten Eindruck machte, und er atmete schwer. Das Tuch, mit dem er maskiert war, wölbte sich ständig vor und zurück, und er schwitzte trotz der Kälte. Sein

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