Der Krake
magst du sein?«, fragte er. »Ein Freund des jungen Herrn, was? Ich fürchte, die Ärzte sind sich einig, dass der Junge vollständig isoliert werden muss, und wenn deine Späßchen auch, davon bin ich überzeugt, ein Tonikum sein mögen, sind sie doch nicht, was der junge Mr. Billiam braucht. Ich fürchte, ich werde dich essen müssen, du unglückselige junge Makrone.«
Leon bewegte sich, und der Junge trat näher. Er schien nur noch aus Raubfischaugen zu bestehen. Der Mann keuchte Rauch, obwohl er keine Zigarette hatte, obwohl er keinen Rauch eingeatmet hatte.
»Nein ...«, sagte Leon. Der Mann öffnete den Mund, und der Mund schob sich immer weiter vor, und Leon war fort. Der Mann wischte sich die Mundwinkel ab wie eine Zeichentrickkatze.
»Nun zu dir«, sagte er zu Billy, der keuchend gegen die gnadenlosen Finger kämpfte. »Hast du deinen Schlafanzug? Zahnbürste eingepackt? Eine Nachricht für den Milchmann geschrieben? Gut, dann lass uns los. Du weißt doch, wie es auf den Flughäfen zugeht, und der kleine Thomas reist so ungern, und ich möchte nicht in einer Schlange hinter einer Reisegruppe nach Agia Napa feststecken. Stell dir das nur mal vor! Du hast mir wieder und wieder ein ruhiges Wochenende versprochen, und es ist langsam Zeit, Billy. Es ist wirklich Zeit.« Er faltete die Hände und zog eine Braue hoch. »Du kannst mit dem Lärm und so aufhören«, sagte er zu dem Jungen. »Ich weiß nicht, wirklich nicht, ihr zwei! Los geht's.«
Und damit packte der Mann Billy wieder am Kragen und zerrte ihn hinaus.
TEIL ZWEI
UNIVERSALSCHLÄFER
10
Während des größeren Teils ihrer Kindheit und Jugend hatten Kath Collingswoods Lehrer ihr entweder teilnahmslos oder vage ablehnend gegenübergestanden. Ein Mann, ihr Biologielehrer, hatte ihr seine Abneigung aktiver gezeigt. Sie hatte das rasch erkannt. Sie verstand sogar, warum er das tat, und konnte seine Gründe einigermaßen nüchtern beurteilen.
Er mochte Recht haben, wenn er sie für mürrisch hielt, doch ging ihn das ihrer Meinung nach genauso wenig an wie ihre Freunde, die er nicht leiden konnte. Er hielt sie auch für einen weiblichen Raufbold, womit er ihrem Dafürhalten nach zu 65 Prozent richtig lag. Jedenfalls fiel es ihr leicht, mehr als die Hälfte ihrer Klassenkameraden einzuschüchtern, und sie tat es auch. Aber das waren nur unbedeutende Grausamkeiten, begangen ohne Freude, flüchtig, fast schon pflichtgemäß, und lediglich dazu gedacht, sich die Leute vom Hals zu halten.
Collingswood hatte nie viel darüber nachgedacht, wie leicht es ihr fiel, Ärger zu verbreiten, wie oft schon ein einziger Blick oder ein Wort reichte, um eine spürbare Wirkung zu erzielen, wenn überhaupt so viel nötig war. Das erste Mal machte sie sich Gedanken darüber, als sie diesen Lehrer zum Schweigen brachte.
Sie war dreizehn. Ein Mitschüler war nach einer Auseinandersetzung geknickt, und Mr. Bearing hatte mit seinem Weißwandtafelstift vor ihr herumgewedelt wie mit einer Keule. »Du bist ein fieses Ding, findest du nicht? Ein wirklich fieses Ding.«
Kopfschüttelnd hatte er sich abgewandt, um etwas an seine Tafel zu schreiben, doch Collingswood war plötzlich furchtbar wütend geworden. Sie war absolut nicht bereit, sich mit dieser Bezeichnung abzufinden. Sie hatte nicht mal Mr. Bearings Hinterkopf angesehen, hatte nur zornig ihre Fingernägel angestarrt und mit der Zunge geschnalzt, und etwas wie eine Blase purer Kälte war in ihrer Brust aufgewallt und geplatzt.
Dann erst hatte Collingswood aufgeblickt. Mr. Bearing hatte aufgehört zu schreiben. Er stand still da, die Hand an der Tafel. Zwei oder drei andere Kinder schauten sich verwirrt um.
Mit einem ahnungsvollen Gefühl großen Interesses, einem Gefühl freudiger Neugier, hatte Kath Collingswood begriffen, dass Mr. Bearing sie nie wieder ein fieses Ding nennen würde.
Das war alles. Er schrieb weiter. Er drehte sich nicht um, um sie anzusehen. Sie verschob die Frage, was passiert war und wie sie hatte wissen können, dass es passiert war, auf einen späteren Zeitpunkt. Und dann lehnte sie sich zurück und kippelte auf den hinteren Stuhlbeinen.
Von diesem Moment an achtete Collingswood genauer auf die Wirkung, die sie bisweilen erzielte, ohne ein Wort zu verlieren: Momente, in denen sie wusste, was ihre Freunde oder Feinde als Nächstes sagen würden; Momente, in denen sie jemanden auf der anderen Seite des Raums zum Schweigen brachte; wenn sie etwas Verlorenes fand, das schlicht nicht an dem Ort
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