Der Krake
Zeit folgte.
Nein, sie wussten im Grunde auch nicht, was das bedeutete, aber so fühlte es sich an. Und das machte sie völlig verrückt.
Billy stolperte in den Tag, in den kalten Sonnenschein, in Passanten. In Leute in Alltagskleidung, die Zeitungen und Tüten auf ihrem Weg in die Läden von Südlondon mitschleppten. Keiner von ihnen würdigte ihn eines zweiten Blickes. Die Bäume kratzten laublos am Himmel. Alles war winterlich verwaschen.
Eine Taubenschar erhob sich in den Himmel, kreiste kurz und flog über Antennen davon. Dane starrte ihren kleiner werdenden Gestalten mit unverhohlenem Misstrauen hinterher. Dann winkte er Billy.
»Bewegung«, sagte er. »Mir gefällt nicht, wie diese Vögel aussehen.«
Billy lauschte dem platten Klang seiner Schritte auf dem Asphalt, der nicht das geringste Echo auslöste. Sein Puls ging schnell. Er sah den Abschnitt einer niedrigen Skyline über vernachlässigtem Mauerwerk. Die Kirche hinter ihnen war kaum mehr als ein großer Schuppen. »Mir gefällt wirklich nicht, wie diese Vögel aussehen«, sagte Dane.
Sie gingen an Zeitungshändlern vorbei, an überquellenden Mülleimern, an von Hundekacke umkrusteten Bäumen, an Geschäftszeilen. Dane brachte sie zu einem Wagen. Es war nicht derselbe wie beim letzten Mal. Er öffnete die Tür. Ein Flüstern erklang.
»Was?« Dane blickte auf. »War das ...?« Sonst war kein Laut zu hören. Er musterte einen geschmacklosen Tondrachen, eine kleine viktorianische Ausschmückung in Sachen Dach. Er scheuchte Billy in den Wagen.
»Was war das?«, fragte Billy.
Dane atmete rasselnd aus und fuhr los. »Nichts. Nur ein Gedanke. Gott weiß, dass wir Hilfe brauchen. Wir müssen ein paar Kilometer hinter uns bringen.« Billy erkannte die Straßen nicht. »Von jetzt an kann es jede Sekunde in ganz London von meinen verärgerten Leuten wimmeln. Meinen ehemaligen Leuten.«
»Und wo fahren wir hin?«
»Wir gehen in den Untergrund. Und dann machen wir uns auf die Jagd.«
»Und ... was ist mit den Bullen?«, fragte Billy.
»Wir gehen nicht zur Polizei.« Dane schlug auf das Lenkrad. »Die können einen Scheiß tun. Und wenn sie doch etwas tun könnten, wäre es nicht das, was wir wollen. Warum, denken Sie, suchen die? Die wollen ihn für sich haben.«
»Und was werden Sie tun, wenn Sie ihn finden, Dane?«
Dane sah ihn von der Seite an. »Ich werde dafür sorgen, dass ihn niemand anderes bekommt.«
Dane hatte so seine Verstecke. In Rohbauten, die aufgegeben wirkten, in heruntergekommenen, besetzten Häusern, in ordentlich aussehenden Gebäuden, die einen dauerhaft bewohnten Eindruck vermittelten, bewohnt von Leuten, die einer regelmäßigen - respektierlichen oder nicht respektierlichen - Arbeit nachgingen.
»Wir ziehen von Ort zu Ort und bleiben einen oder zwei Tage«, sagte Dane. »Und wir gehen jagen.«
»Die Kirche wird uns bestimmt finden«, wandte Billy ein. »Das sind doch deren sichere Häuser, nicht wahr?«
»Von denen weiß nicht mal der Teuthex. Wenn Sie so einen Job machen wie ich, dann brauchen Sie ein wenig Spielraum. Je weniger die wissen, desto besser. So müssen sie sich nicht die Hände schmutzig machen. Es ist uns nicht bestimmt zu töten, wir sind nicht die Raubtiere, verstehen Sie? Aber was muss, das muss.« Die Hölle entfesseln, um den Himmel zu retten, diese Art von Rabulistik.
»Sind Sie der Einzige?«, fragte Billy.
»Nein«, sagte Dane. »Aber ich bin der Beste.«
Billy lehnte den Kopf an und sah zu, wie London vorüberzog. »Goss hat nur den Mund aufgemacht«, sagte er. »Und Leon wurde ...« Er schüttelte den Kopf. »Ist das seine ... Gabe?«
»Seine Gabe ist es, ein entsetzlicher Scheißkerl zu sein«, antwortete Dane. Mit einer Hand faltete er einen Bogen Papier auseinander. »Das ist eine Liste mit Portierern«, sagte er. »Wir müssen einen Gott aufspüren. Das sind die, die dafür verantwortlich sein könnten.«
Billy beobachtete Dane eine Weile, sah Ärger in seinem Gesicht auftauchen und verschwinden, sah Augenblicke tiefer Bestürzung und Unsicherheit. Schließlich zogen sie sich in Flussnähe in eine kleine Wohnung mit einem Schlafzimmer zurück, die ausstaffiert war wie eine Studentenbude. Da gab es Bücher über Biologie und Chemie in billigen Regalen, ein System-Of-A-Down-Poster an der Wand, Zubehör zum Drogenmissbrauch.
»Wem gehört das alles?«, fragte er.
»Das ist nur da, falls jemand einbricht«, erklärte Dane. »Oder jemand uns ausspäht oder mittels Fernwahrnehmung ausspioniert.
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