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Der Krake

Der Krake

Titel: Der Krake Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: China Miéville
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richtig gut darin. Warte, ich zeige es dir.«
    »Ich habe es niemandem erzählt«, versicherte Anders. »Ich weiß nicht, wer ihr seid ...«
    »Sollen wir einen Apfelbaum machen?«, fragte Goss. »Sollen wir eine Schildkröte machen? Falten und falten und falten.« Und er fing an zu falten. Anders fing an zu schreien. »Ich bin darin nicht so gut wie du!« Goss lachte.
    Goss faltete, begleitet von dem Schmatzen feuchten Fleisches, von Krachen. Irgendwann hörte Anders auf zu schreien, aber Goss faltete weiter.
    »Ich weiß nicht, Subby«, sagte er schließlich, wischte sich die Hände an Anders Mantel ab und musterte prüfend sein Werk. »Ich brauche mehr Übung, Subby«, stellte er fest. »Das hat nicht so viel Ähnlichkeit mit einem Lotus, wie ich es mir gewünscht habe.«

21
    Billy erwachte, und es war, als tauche er aus Wasser auf. Er stützte den Kopf auf die zitternden Hände. Was er in seinem tiefen Traum gesehen hatte, war dies:
    Er trieb über dem Meeresboden, als weiter nichts als ein Flecken purer Wahrnehmung, ein Seelenfunken, ein empfindungsfähiger, untergetauchter Knotenpunkt. Er sah den Boden nur monochrom, lichtlos, wie er hätte sein müssen, bis dieser sich plötzlich in einer Kluft verlor, ein Marianengraben, angefüllt mit Wasser gleich geronnenem Schatten. Billys kleines selbstloses Selbst trieb dahin. Und nachdem es unfassbar lange getrieben war, hatte er erneut etwas unter sich gesehen, etwas, das emporstrebte. Eine Abflachung des Dunkels, die aus dem Dunkel heraufkam. Traum-Billy wusste, was das sein musste, und er fürchtete seine Arme, seine vielen Glieder und den endlosen Leib. Aber als es Gewässer erreichte, in denen genug Licht war und Billy seine Konturen ausmachen konnte, sah er eine Landschaft, die er kannte, denn er sah sich. Er sah ein Billy-Harrow-Gesicht. Atlantisch, die Augen geöffnet, starrte es den ganzen Weg hinauf bis zum Himmel. Das gewaltige Er war lange leblos gewesen. Eingelegt. Die Haut verschorft, riesenhafte Augen, getrübt durch die Präparation, breite, kalte Lippen über gefletschten Zähnen, deren Größe jede Vorstellung sprengte. Ein konservierter Billy-Leichnam, hochgeschleudert von irgendeinem Unterwasserkataklysmus.
    Zitternd lag Billy auf seinem Bett. Er wusste nicht, ob draußen ein neuer Tag anfing oder welchen Rhythmus ihm die uhrlosen Gruben der Kirche vorgeben mochten. Plötzlich wünschte er so sehr, Marge zu sagen, dass Leon tot war. Bis dahin hatte er nicht einmal an sie gedacht, und er schämte sich dafür. Beim Gedanken an Leon schloss er die Augen und hielt den Atem an. Billy versuchte, hervorzulocken, was immer er in seinem Inneren berührt hatte, als Goss ihn hatte holen wollen, als das Glas gebrochen war und verharrt hatte.
    Auf seinem Tablett stand eine Flasche mit einem trüben Getränk. Die tintige Milch. Niemand versuchte mehr, ihn heimlich zu betäuben - die Wahl lag ganz bei ihm. Das Angebot stand, die Hoffnung lebte, doch er träumte auch ohne die Hilfe der Tinte. Billy war ein Geiselprophet, ein Weissagehäftling. Man spielte mit ihm wie mit einer Figur in einem variantenreichen Weltuntergangsspiel.
    Und auf den Ausgang durfte gewettet werden. Wahrsagerei war wie eine Systemwette, eine abgewogene Vorhersage von Ergebnissen unterschiedlicher Wahrscheinlichkeit. Die Variationen, die Unstimmigkeiten, sie waren für die Berechnungen unverzichtbar. Für die Triangulation der Möglichkeiten. Niemand wusste, was zu tun war, nun, da alle Prognostiker übereinstimmten. Billy umklammerte den Bettrahmen und starrte das Tintenrauschmittel an.
    Es pochte, und Dane trat ein. Er lehnte sich an die Wand. Er trug einen Mantel und hatte einen Beutel dabei. Lange sagte keiner der Männer ein Wort. Sie sahen einander nur an.
    »Ich bin nicht euer Prophet, Dane«, sagte Billy schließlich. »Danke, dass Sie mir das Leben gerettet haben. Das habe ich bisher nie gesagt. Und das tut mir leid. Aber das ist ... Sie müssen mich gehen lassen.« Wie gefragt er auch immer noch sein mochte. »Sie können mir helfen.«
    Dane schloss die Augen. »Ich wurde in der Kirche geboren«, erzählte er. »Meine Mum und mein Dad haben sich durch sie kennengelernt. Mein Großvater, der Vater meines Vaters, war der, der sich wirklich engagiert hat. Er hat mich unterrichtet. Er ist den Katechismus mit mir durchgegangen. Aber, ich meine, das ist doch alles Schwachsinn, nicht wahr? Es geht nicht darum, alles nur nachzuplappern wie ein Papagei. Es geht darum zu verstehen. Er hat

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