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Der Kranich (German Edition)

Der Kranich (German Edition)

Titel: Der Kranich (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Manuela Reizel
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geduldigen Tag zu haben und verhalf ihm auch dazu.
    „So. Jetzt brauchen Sie nur noch einen Benutzernamen und ein Passwort.“
    Lamprechts Phantasiekontingent neigte sich der Erschöpfung zu. „Ein Benutzername – wie eine Filmfigur oder so was?“
    „Was immer Sie wollen.“
    Angestrengt versuchte er sich an irgendeinen Film aus den letzten Jahren zu erinnern, aber in seinem Kopf machte sich eine große schwarze Leere breit. Seltsamerweise fiel ihm plötzlich einer der ersten Kinofilme ein, die er überhaupt jemals gesehen hatte. Er konnte nicht viel älter als dreizehn, vierzehn Jahre alt gewesen sein, und der Grund, warum er sich überhaupt daran erinnerte, war, dass er diesen Film mit seiner ersten Liebe zusammen gesehen hatte. Ein braunhaariges Mädchen aus seiner Klasse, und sie hatten sich den ganzen Film über an den Händen gehalten … Er räusperte sich. „Also, ‚Krieg der Sterne‘ fand ich ja immer ganz spannend.“
    „Toll. Obi-Wan Kenobi, Han Solo …“
    „Ich dachte eigentlich mehr an Darth Vader“, rutschte es ihm heraus, im nächsten Moment hätte er sich am liebsten die Zunge abgebissen. Doch eigentlich war es egal, denn sein Gegenüber hatte ganz sicher Wichtigeres zu tun, als ihm hinterherzuschnüffeln.
    „Also, der ist hundertprozentig schon vergeben, aber Sie können ihn abwandeln, indem Sie noch ein paar Zahlen dranhängen, Ihr Geburtsjahr zum Beispiel oder so was. Okay, dann tippen Sie hier unten noch Ihr Passwort rein, loggen sich ein – und los geht’s!“
    Offensichtlich war der andere der Überzeugung, er hätte nun seine Pflichten mehr als erfüllt und entschwand in Richtung seines eigenen Rechners.
    Mit zitternden Händen gab Lamprecht seinen neuen Benutzernamen ein:
DarthVader666
, dann das Passwort:
Barranquilla
– etwas anderes fiel ihm in der Eile beim besten Willen nicht ein – und klickte auf
create my account
. Zu seinem großen Erstaunen funktionierte es tatsächlich, und einen Augenblick später befand er sich auf der Startseite, auf der ihn ein leeres Eingabefeld empfing, das seine Nachricht erwartete. Lamprecht hatte sich nicht die Zeit genommen, den Mantel auszuziehen, kühler Schweiß rieselte seinen Rücken entlang. Er war sich der Tatsache nur allzu bewusst, dass dies der letzte Moment für eine Umkehr war. Später würde es kein Zurück mehr geben. Doch der Gedanke an Judith und Nina zerstreute alle Zweifel. Niemand würde zu Schaden kommen. Dies war
der einzige Weg
, wie niemand zu Schaden kommen würde. Der Hübsche mit seinen Fähigkeiten konnte mit hundert anderen Programmen Geld verdienen. Im Grunde war es nicht einmal Diebstahl, denn er hatte ja gesagt, dass er es gar nicht verkaufen wollte. Genau genommen
half
er ihm sogar! Dieser Blickwinkel gab Lamprecht endgültig die nötige Kraft. Er breitete die Papierserviette neben sich auf dem Tisch aus, strich sie vorsichtig glatt und begann damit, die Reihe aus Buchstaben, Zahlen und Zeichen abzutippen. Da das Eingabefeld unpraktischerweise nach hundertvierzig Zeichen endete (wer hatte sich nur einen solchen Schwachsinn ausgedacht?), teilte er seine Vorlage akribisch in vier gleich große Teile auf, die er hintereinander abschickte. Allerdings nicht, ohne sie vorher mehrmals auf mögliche Fehler überprüft zu haben. Dem letzten Tweet fügte er noch seine neue Handynummer bei.
    Als er nach einer weiteren gefühlten Ewigkeit endlich damit fertig war, meldete er sich sorgfältig ab, schloss die Anwendung (oben rechts in das rote Kästchen mit dem Kreuz klicken, eines der ganz wenigen Dinge, die er bislang über die fremde Welt gewusst hatte, doch nun wusste er schon eine ganze Menge mehr!), bezahlte, bedankte sich höflich für die Hilfe und floh auf die Straße.
    Um sechzehn Uhr setzte Thomas Lamprecht sich nass geschwitzt und völlig erschöpft, doch von einer tonnenschweren Last befreit, auf eine Parkbank im Schlossgarten.
    Atemlos blieb ich stehen. Ich war den ganzen Weg vom Viadukt bis hinauf zum Wallgraben gerannt und drohte nun endgültig schlappzumachen. Ich wagte nicht, mich umzusehen, doch ich spürte, dass er noch immer hinter mir war. Eine Querstraße noch, dann würde ich vor Dr. Elverts Praxis stehen, und ein kurzer Blick auf die Uhr versicherte mir, dass er dort bereits auf mich wartete. Ich könnte wie in jeder anderen Woche durch die Tür des kleinen senfgrünen Häuschens verschwinden, die soviel Zuflucht zu versprechen schien, und alles würde normal, alles würde gut sein – doch das

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