Der Kranich (German Edition)
aller Art wechselten im Schutz der Dunkelheit den Besitzer. Manchmal blieb ein Beteiligter dabei auf der Strecke, das war dann der Zeitpunkt, an dem Martin Beier gewöhnlich auf den Plan trat, an diesem Abend jedoch war alles ruhig und friedlich.
Thomas Lamprecht hatte irgendwann im Laufe des Tages entschieden, es auf einen Versuch ankommen zu lassen. Allzu viel zu verlieren hatte er dabei seiner Einschätzung nach nicht. Die Tatsache, dass er nicht wusste, mit wem er es eigentlich zu tun hatte, machte ihm weniger Sorgen, als man hätte erwarten können – schlimmer als mit Barranquillas Truppe konnte es kaum werden! Es hatte dann auch nicht lange gedauert, bis der Anruf erfolgt war. Es handelte sich um denselben Kontaktmann, der sich weiterhin höflich und unverbindlich, doch nachdrücklich interessiert zeigte. Man war übereingekommen, dass eine Anzahlung geleistet und nach der Prüfung des Datenträgers über den endgültigen Kaufpreis weiterverhandelt würde. Lamprecht erhielt die Zusicherung, dass man sich gewiss zur allseitigen Zufriedenheit einigen würde.
Ungläubig starrte er auf das ansehnliche Bündel großer Scheine in seiner Hand und dachte, dass er jetzt, egal wie die Dinge sich weiterentwickeln würden, bei diesem Deal auf jeden Fall auf der Gewinnerseite stand. Das war ein Grund zum Feiern! Kurz entschlossen wählte er die Nummer eines Stammheim-Kumpels, der schon etwas länger wieder draußen war als er selbst und sich über seinen unerwarteten Anruf über alle Maßen freute. Sie trafen sich in einer Kneipe im Bohnenviertel – das es eigentlich nicht mehr gab – tranken ein paar Bier und plauderten über alte Zeiten. Als Thomas Lamprecht sich spät auf den Heimweg machte, hatte er einen kleinen goldenen Ring in der Tasche. Der Diamant, der sich darauf befand, war nicht groß, aber lupenrein. Das hatte Judith verdient! Und der Preis stimmte auch. Für Barranquilla war noch genug übrig. Gleich am nächsten Tag würde er reinen Tisch mit ihm machen – ein für alle Mal.
Bisher war ich nie ein Fan von Social Engineering gewesen. Ich hatte rein technische Ansätze immer bevorzugt, obwohl eines meiner Vorbilder, Kevin Mitnick, nicht aufhörte, die Überlegenheit dieser Methode zu preisen. Mir war sie insofern suspekt, als menschliches Verhalten zwangsläufig einen unkalkulierbaren Aspekt ins Spiel bringt. Technik ist beherrschbar, berechenbar – der Faktor Mensch nicht. Doch nun musste ich einräumen, dass es Situationen geben konnte, in denen es durchaus sinnvoll war, auf die altbewährte Phreakermethode zurückzugreifen, und sei es nur, um kostbare Zeit zu sparen. Ich musste Darth Vader finden und zwar so schnell wie möglich. Nicht nur, um mich bei ihm zu bedanken.
Wenige Stunden zuvor war ich in meine Wohnung zurückgekehrt. Eine Nacht im Marienhospital hatte sich nicht vermeiden lassen, da mein Kreislauf sich am Vortag noch als zu labil erwiesen hatte. Ich fühlte mich noch immer recht schwach, schaffte es aber wieder halbwegs, mich auf den Beinen zu halten. Zu meiner Freude hatte ich zu Hause fast alles so vorgefunden, wie ich es verlassen hatte. Das neue Netbook stand unversehrt auf dem Boden, die Funkhardware war da und sogar die Wohnungstür war unbeschädigt. Es hatte eine ganze Weile gedauert, bis mir klar wurde,
was
tatsächlich fehlte – doch als es soweit war, wusste ich, dass ich keine Zeit mehr verschwenden durfte. Ich gab also meine Versuche auf, mich auf konventionellem Weg in die Datenbank der Notrufzentrale zu hacken und rief einfach an.
Wie sich herausstellte, hatte Kevin Mitnick recht. Ich war einigermaßen erschrocken darüber, wie schnell die offensichtlich unerfahrene Mitarbeiterin bereit war, mir meine wilde Polizeigeschichte zu glauben und mir hochsensible Daten anzuvertrauen, ohne auch nur den Versuch gemacht zu haben, meine Identität zu überprüfen! Wäre die Situation nicht so ernst gewesen, hätte mir die ganze Aktion einen Heidenspaß gemacht, doch dies war nicht die Zeit für Spiele. Wichtig war nur, dass ich innerhalb von einer Viertelstunde im Besitz von Darth Vaders Handynummer war, und eine weitere Viertelstunde später hatte ich es geortet. Er schien sich im ehemaligen Bohnenviertel zu befinden, in einer Kneipe wahrscheinlich. Natürlich konnte ich nicht sicher sein, dass er das Handy behalten hatte. Alles was ich bislang über ihn wusste, deutete jedoch nicht auf überdurchschnittliche Intelligenz hin. Sein Verhalten war chaotisch, völlig undurchdacht.
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