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Der Kranich (German Edition)

Der Kranich (German Edition)

Titel: Der Kranich (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Manuela Reizel
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standhalten würden. Als er schließlich Schritte hinter sich vernahm, standen Schweißtropfen auf seiner Stirn, und er wischte sie mit einem Stofftaschentuch ab.
    „Hast du es?“ wollte Mario Pross wissen.
    Er nickte.
    „Warum gehst du dann nicht rein?“
    „Ich wollte … ich bin … auch gerade erst gekommen.“
    Mario Pross schloss die Tür auf, und sie gingen schweigend zu Emmerichs Computer im zweiten Stock. Sie machten so wenig Licht an wie möglich.
    Während der Rechner hochfuhr, blickte Karl-Heinz Emmerich seinen Kollegen nachdenklich an. „Woher stammt das Geld für die Anzahlung?“
    „Das willst du nicht wissen.“
    „Für das ganze Programm will er eine Million.“
    „Lächerlich.“
    „Es könnte so viel wert sein.“
    Emmerich steckte den Stick ein und ging den Programmcode, der sich darauf befand, Zeile für Zeile durch. Nach einer Weile wurde Mario Pross ungeduldig.
    „Und? Was denkst du? Ist es das, was ich glaube?“
    Emmerich nickte bedächtig. „Das ist tatsächlich der ungewöhnlichste und vielversprechendste Ansatz für A.I., den ich in meinem bisherigen Leben gesehen habe. Aber es ist ein Fragment, nichts weiter. Damit wirst du keinen Avatar zum Leben erwecken.“
    „Bist du sicher?“
    Emmerich blickte Pross vorwurfsvoll an.
    „Aber du kannst es vervollständigen?“
    „Ich weiß es nicht. Wenn ja, dann könnte es Jahre dauern.“
    „Das nützt uns nichts.“
    „Ich muss aber zugeben, dass ich mich schon gerne mal mit dem Kerl unterhalten würde, der das geschrieben hat.“
    „Hast du das nicht vorhin getan?“
    „Das halte ich für ausgeschlossen. Weiß der Himmel, wie dieser
Darth Vader
an die Daten gekommen ist, aber geschrieben hat er den Text auf keinen Fall. Ich bezweifle, dass der den Unterschied zwischen Linux und OS X kennt.“
    „In Ordnung. Dann werden wir denjenigen eben finden, der’s getan hat. Es könnte allerdings sein, dass wir dabei ein bisschen … wie soll ich sagen … nachdrücklicher werden müssen. Mit der Anzahlung haben wir uns ganz schön weit aus dem Fenster gelehnt, das muss erst mal wieder reinkommen. Hältst du das aus?“
    Resigniert dockte Emmerich den Stick ab und fuhr den Computer herunter. „Habe ich eine Wahl?“

EREBOS
    Exponentielle Funktionen:
Für seine Erfindung, das Tschaturanga-Spiel, wünschte Sissa ibn Dahir sich als Belohnung vom König Weizenkörner. Und zwar sollte auf jedes der übrigen 63 Felder des Spielbrettes die nächsthöhere Potenz desjenigen Weizenkornes gelegt werden, das sich auf dem ersten Feld befand. Auf dem Spielfeld wären am Ende ca. 922 Mrd. Tonnen Weizen aufgehäuft gewesen – das 1500-fache der weltweiten Weizenernte des Jahres 2004
.

15
    Thomas Lamprecht stand am Fenster und starrte auf den Montagmorgenverkehr auf der B14 hinunter. Unter dem dramatischen Gewitterhimmel wirkte die Blechlawine, die sich die Cannstatter Straße entlangschob, beinahe apokalyptisch. Bald würde es ein heftiges Unwetter geben. Sturm, Schnee und sogar Hagel war vorausgesagt, doch Judith hatte nicht auf ihn hören wollen und das Haus trotzdem schon früh mit der Kleinen verlassen, um sie in den Kindergarten zu bringen. Danach hatte Judith wichtige Termine. Wohnungsamt, Sozialamt, Jugendamt … was auch immer. Nachdenklich drehte er das kleine, mit schwarzem Samt ausgeschlagene Plastikdöschen in der Hand, in dem sich der Ring befand. Es hatte noch keine passende Gelegenheit gegeben, doch am Abend würde er ihn an ihren Finger stecken, so viel stand fest! Aber zuvor hatte er noch eine Kleinigkeit am Killesberg zu regeln.
    Seufzend wandte er sich ab und verbarg den Ring unter der Matratze im Schlafzimmer. Dann ging er in den Flur, nahm den Mantel vom Haken, zog ihn an und ließ einen ansehnlich dicken Briefumschlag in der Innentasche verschwinden. Es war alles da. Er hatte dreimal nachgezählt. Allzu viel war nun von der Anzahlung, die er für den USB-Stick bekommen hatte, allerdings nicht mehr übrig. Egal. Das Wichtigste war, Barranquilla auszuzahlen, und wenn sich die Dinge weiter zu seinen Gunsten entwickelten, würde er bald überhaupt keine Sorgen mehr haben.
    In dem Moment, als er nach der Klinke griff, um die Wohnung zu verlassen, schrillte die Klingel. Lamprecht fuhr zurück und hätte um ein Haar das Gleichgewicht verloren. Er spürte, wie ihm der Schweiß ausbrach, während sich in Sekundenbruchteilen Szenarien vor seinem inneren Auge entspannen. Uniformierte mit Helmen und automatischen Waffen brachen die Tür

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