Der Kranich (German Edition)
immer wieder zwischen ihm und dem Ring hin und her sah, alles Mögliche spiegelte sich in ihren grünbraunen Augen, nur überschwängliche Begeisterung schien es nicht zu sein.
Thomas Lamprecht räusperte sich. „Möchtest du nicht … probieren, ob er passt?“
Noch immer rührte Judith sich nicht und sagte kein Wort. Lamprecht versuchte erfolglos, ihren Blick zu deuten. Schließlich holte er tief Luft. „Ich fände es schön, wenn wir eine richtige Familie wären. Ich meine, du und Nina und ich. Ich meine … wenn ihr das wollt.“
Endlich war in ihrem Gesicht zwischen den tiefen Sorgenfalten so etwas wie der Anflug eines Lächelns auszumachen. „Ist das ein Heiratsantrag, Thomas?“
Lamprecht nahm den Ring aus dem Döschen und schob ihn auf den Ringfinger ihrer rechten Hand. Er passte. Dann setzte er sich ihr gegenüber und sah sie erwartungsvoll an. Lange sahen sie sich schweigend in die Augen, und alles Unausgesprochene stand wie eine Mauer zwischen ihnen. Er war sich dessen nur allzu schmerzlich bewusst.
„Ich bin dabei, alles zu regeln, Judith. Du musst mir vertrauen. Ich habe es fast geschafft. Ich verspreche dir, dass nie wieder irgendjemand dir oder Nina Angst machen wird. Und wenn du es willst, werde ich nie wieder einen Stein anrühren. Ich tue das alles nur für euch. Sonst ist es sinnlos.“ Wie um sich daran festzuhalten, umschloss Thomas Lamprecht die kühle Flasche mit beiden Händen. Mehr hatte er nicht zu seiner Verteidigung vorzubringen, und er wusste, dass es nicht viel war.
„Nina liebt dich“, sagte Judith leise.
„Und du? Willst du mir noch eine Chance geben?“
Wieder dauerte es quälend lange, bis sie antwortete.
„Ich weiß, dass du das ernst meinst. Ich weiß nur nicht, ob du es auch einhalten kannst.“
Wenn er ehrlich gewesen wäre, hatte er zugeben müssen, dass er selbst der Letzte war, der das zu diesem Zeitpunkt wusste. Doch es konnte fatale Folgen haben, zu ehrlich zu sein. Er brauchte etwas, woran er sich festhalten konnte, sonst hatte er von vorneherein keine Chance.
Judith betrachtete den Ring an ihrer Hand und schüttelte traurig den Kopf. „Es geht nicht um mich, Thomas. Ich muss vor allem an Nina denken. Ich kann … es dir jetzt nicht sagen. Ich weiß es einfach nicht.“
Man muss die Dinge positiv sehen. Es war zwar kein Ja – aber immerhin war es auch kein Nein gewesen! Die Flasche Spumante stand ungeöffnet wieder im Kühlschrank. Dafür machte Lamprecht vor seinem Date mit dem Brillenträger einen kurzen Abstecher zu den Toiletten am Schlossplatz. Er würde aufhören – bei seiner Liebe zu Judith! – er hatte es noch nie in seinem Leben so ernst gemeint. Nur eben nicht gerade heute. Er war nervös und brauchte irgendwas zur Beruhigung. Wenn das Gespräch im Schlossgarten positiv verlief, würde man weitersehen. Morgen … Mit einem unguten Gefühl fiel ihm ein, dass er am nächsten Tag einen Termin mit dem Psycho hatte. Über diese seltsame emdr-Geschichte würde er sich bis dahin auch noch ein paar Gedanken machen müssen. Schon drohte sich erneut ein Gefühl der Überforderung einzustellen, eilig schob er einen neuen Stein in die Pfeife und sog den Rauch tief ein. Es waren seine letzten paar Euro, die sich da soeben in der stinkenden Toilettenluft auflösten. Nun war er endgültig pleite.
Er schaffte es gerade noch rechtzeitig zum Anlagensee. Der Matsch spritzte beim Gehen bis zu den Knien, doch der eisige Schneeregen hatte immerhin eine kurze Pause eingelegt. Lamprecht stellte den Mantelkragen hoch und trat neben den Mann, der im Schein der Parklampen den frierenden Enten ein paar Brotkrumen zuwarf. Als dieser, ohne zur Seite zu blicken, zu sprechen begann, nahm Lamprecht eine Schärfe in seiner Stimme wahr, die ihm bisher nicht aufgefallen war.
„Ihr Datensatz ist sehr interessant, aber leider nicht vollständig.“
Das Gespräch drohte zu kippen, noch bevor es richtig begonnen hatte. Verzweifelt suchte Thomas Lamprecht nach einer sinnvollen Entgegnung, fand jedoch keine. Vielleicht, weil es keine gab.
„Wir brauchen die übrigen Dateien“, hakte der andere nach, warf das letzte Stück Brot in den Teich und wandte sich um. „Wir gehen davon aus, dass Sie diese beschaffen können, sonst wird unsere Abmachung hinfällig, und wir müssten die geleistete Anzahlung von Ihnen zurückfordern.“
Lamprecht erstarrte. Das fehlte noch! „Hören Sie …“, begann er, doch weiter kam er nicht.
„Nein. Sie hören mir zu. Wir bezweifeln, dass
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