Der Kranich (German Edition)
trank, doch es fühlte sich gut an. Es war warm im Raum, und irgendwie schien Ralf die richtigen Worte zu finden, ohne ihr allerdings ihre Fragen zu beantworten. Irgendwann lag sie in seinen Armen, und auch das fühlte sich gut an. Zu gut vielleicht.
„Ich sollte jetzt gehen.“
„Bis du mit dem Wagen hier?“
Sie nickte.
„Lass ihn stehen. Ich fahr dich rüber.“
Eva widersprach nicht. Nicht, weil sie Angst gehabt hätte noch zu fahren, obwohl die Straßen glatt waren – aus einem seltsamen Grund war seit einer Woche jede Angst verschwunden – aber weil alles, was er sagte, sich richtig anfühlte. Die eisige Nachtluft schwächte die Wirkung des Weines etwas ab, trotzdem schien das von dichtem Nebel eingehüllte Büsnau unwirklich, wie ein fernes Feenland. Abwesend starrte Eva auf die vorbeihuschenden Bäume und merkte kaum, als sie angekommen waren.
„Danke, Ralf.“
Zeit spielte längst keine Rolle mehr, als sie leise, um ihre Mutter nicht zu wecken, in ihr Zimmer schlich. Im Vorbeigehen nahm sie das Telefon mit, schloss die Tür und wählte eine lange Nummer.
„Andersson“, meldete sich eine verschlafene Stimme.
„Hey. Wie … geht’s dir?“
17
„Ich freue mich, dass Sie es versuchen wollen.“
Gustav Elvert versuchte, hinter die versteinerten Züge seines Klienten zu blicken. Gewöhnlich fiel ihm das nicht schwer, und es kam nicht mehr oft vor, dass ihm einer etwas vormachte. Doch hier sah er sich einer echten Herausforderung gegenüber. Der Mensch, der vor ihm saß, hatte zu große Verletzungen erlitten, als dass er schon bereit gewesen wäre, sich auf eine authentische Form der Kommunikation einzulassen, doch die war Voraussetzung. Andererseits wusste Elvert, dass er die Spielebene rasch durchbrechen musste, um seine Chance, ernst genommen zu werden, nicht zu verlieren. Es war eine Gratwanderung.
„Bevor wir beginnen können, möchte ich aber noch einen wichtigen Punkt ansprechen. Ich habe Ihnen in Aussicht gestellt, dass Sie durch die emdr-Methode innerhalb kurzer Zeit einen größtmöglichen persönlichen Gewinn erwarten können. Ganz ohne Opfer Ihrerseits wird es aber nicht gehen.“
Elvert machte eine Pause und versicherte sich, dass er die Aufmerksamkeit seines Gegenübers hatte. Dann fuhr er fort: „Grundsätzlich bin ich im Gegensatz zu den meisten meiner Kollegen der Ansicht, dass sich über den Gebrauch nicht nur legaler, sondern auch illegaler psychotroper Substanzen durchaus diskutieren lässt. Und ich kann und will Sie nicht kontrollieren. Ich sage Ihnen aber ganz klar, dass Sie vom jetzigen Zeitpunkt an Ihren Drogenkonsum nicht nur drastisch reduzieren, sondern möglichst völlig einstellen müssen. Mindestens für die Dauer der Behandlung – sonst verlieren wir hier beide nur unsere Zeit. Und ich würde Ihnen dieses Angebot nicht machen, wenn ich nicht davon überzeugt wäre, dass Sie dazu auch in der Lage sind.“
Gustav Elvert war sich der Tatsache nur allzu bewusst, dass er sich auf dünnes Eis begab. Doch er konnte deutlich sehen, dass er verstanden worden war.
„Sind Sie bereit, eine entsprechende Vereinbarung mit mir zu treffen?“
Ein etwas zögerliches Nicken erfolgte.
Elvert schüttelte den Kopf. „Das reicht mir nicht, Herr Lamprecht. Bitte sprechen Sie es aus.“
„Ich werde für die Dauer der Behandlung keine Drogen nehmen?“
Es klang zwar eher wie eine Frage als wie eine Affirmation, doch Elvert entschied, es dabei zu belassen.
„Was ist mit einem Glas Wein?“
„Ein Glas Wein ist in Ordnung. Schön. Nachdem wir das geklärt haben, möchte ich Ihnen zunächst eine Entspannungstechnik zeigen. Wir werden uns etwas Zeit nehmen, und wenn Sie soweit sind – nächste oder übernächste Woche – werden wir uns gemeinsam den traumatischen Erlebnissen Ihrer Kindheit nähern und versuchen, diese zu integrieren. Einverstanden?“
Wieder erfolgte ein zustimmendes Nicken.
„Dann bitte ich Sie nun, sich kurz auf die Couch zu legen und in Ihren Körper hineinzuspüren. Keine Sorge, die Technik ist sehr einfach und schnell erlernt. Sie heißt ‚Progressive Muskelentspannung‘. Sie können sie zu Hause üben und problemlos in Stresssituationen einsetzen.“
Da Karin Kutscher am Wochenende zu einem Fortbildungsseminar fahren wollte, hatte sie Elvert gebeten, ausnahmsweise schon am Mittwochabend zu kommen. Mit gemischten Gefühlen zog er sich an. Er war sich nicht sicher, was er ansprechen wollte. Zu viel war in den letzten Tagen geschehen, und er
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