Der Kranich (German Edition)
nicht … er war … einfach tot.“ Elvert spürte, wie ihm der Schweiß ausbrach.
„Hattest du ein entsprechendes Erlebnis? Mit einem Klienten, meine ich?“
Elvert nickte, dann schüttelte er den Kopf. „Es tut mit leid, Karin, ich kann … nicht darüber sprechen.“
„Okay. Das ist in Ordnung, Gustav. Willst du meine Meinung hören? Du siehst überarbeitet aus. Warum nimmst du dir nicht ein paar Tage frei?“
„Um was zu tun?“, hätte er beinahe gefragt, doch er schwieg. Eine Zeit lang sprachen sie noch über mögliche Ursachen für Lukas’ Widerstände, doch für Elvert kam nichts Brauchbares dabei heraus. Es waren Spekulationen, und das Problem bestand darin, dass Karin Lukas nicht kannte. Sie dachte noch immer in gängigen Kategorien. Doch allein ihre Anwesenheit machte alles erträglicher. Das war eine Gabe, und insgeheim fragte er sich, ob seine Klienten bei ihm auch manchmal so empfanden.
Schließlich erhob er sich. „Danke, Karin. Ich wünsche dir ein interessantes Wochenende. Wir sehen uns dann nächste Woche wieder zum üblichen Termin?“
„Auf jeden Fall.“
In der Tür drehte er sich noch einmal um. „Ich habe mich gefragt, ob du …“
„Ja?“
„Hättest du vielleicht Lust, mal essen zu gehen?“
„Hältst du das für eine gute Idee, Gustav?“
Nachdem er die Tür hinter sich geschlossen hatte, hätte er sich am liebsten geohrfeigt.
Es hatte wieder angefangen zu schneien. Lautlos ging der Tag in die Nacht über, und die Welt glitt in einen tiefen Zuckerwatteschlummer.
Ich wandte mich vom Fenster ab und dem Stapel Pappschächtelchen zu, mit dem ich in der Mitte des Raumes einen kleinen Turm gebaut hatte. Seufzend ließ ich mich in den Sessel fallen und schloss die Augen. Szenen einer endenden Gegenwart zogen vorbei, dahinter die Zukunft, ein unbeschriebenes Blatt Papier, wie die Blätter, die auf dem Boden herumlagen. Ich bückte mich, hob eines davon auf und begann es zu falten.
Ich spürte ihre Anwesenheit, lange bevor ich ihre Stimme vernahm.
„Faltest du mir einen Kranich?“
„Wenn du willst.“
Sie stand vor mir, die Hände in den Hosentaschen, das Gesicht von Locken fast verdeckt.
„Was hast du vor, Bro?“
Ich faltete den Kranich fertig und stellte ihn zwischen uns auf den Boden. „Es wird Zeit zu gehen.“
„Du machst dir da ganz schön was vor. Du nennst dich Luke Skywalker und stylst dich zum Unverwundbaren – aber in Wirklichkeit bist du nur ein Feigling. Dein ganzes Leben lang bist du davongelaufen, und jetzt tust du es wieder.“
„Was weißt du schon über mein Leben?“
„Ich weiß, dass es das Einzige ist, wofür du verantwortlich bist.“
Ich blickte auf und versuchte ein weiteres Mal herauszufinden, was sie war. Eine Wahnvorstellung, wie Dr. Elvert glaubte? Oder war da noch etwas anderes? Ich war neugierig, ob sie mir an den Ort folgen würde, an den ich zu gehen beabsichtigte. Ihr Gesichtsausdruck war schwer zu interpretieren, als sie auf den Schachtelturm deutete.
„Übertreibst du da nicht ein bisschen?“
„Ich will kein Risiko eingehen.“
„Dass deine Mutter eine falsche Entscheidung getroffen hat, bedeutet nicht, dass du dasselbe tun musst.“
Ich schwieg.
„Du gibst dir die Schuld an Dingen, für die du nicht verantwortlich bist, aber vor der einzigen Verantwortung, die du wirklich hast, drückst du dich. Eigentlich hätte ich mehr von dir erwartet.“
„Ich werde ihn vermissen.“
„Deinen Shrink? Du hättest mit ihm reden sollen. Er glaubt, du würdest ihm vertrauen.“
„Das tue ich auch.“
„Aber du wusstest, dass er es niemals zugelassen hätte. Es gibt andere Möglichkeiten, Luke Skywalker. Menschen, die dir helfen können.“
Allmählich begann mir ihre penetrante Bohrerei auf die Nerven zu gehen.
„Was soll das, Maya? Ich habe meine Entscheidung längst getroffen. Wenn der Boden zu heiß wird, sollte man ihn verlassen. Ich verstehe nicht, warum du so eine große Sache daraus machst. Es ist nur ein Fake. Fernando Poo ist genauso gut wie jeder andere Ort auf dieser Welt. Ich werde
NORT
zum Abschluss bringen. Ich bin dabei, eine vollkommen neuartige Form der Intelligenz zu schaffen, eine vollkommen neuartige Form der Kommunikation. Aber dafür brauche ich
Zeit
. Und irgendwann werde ich auch herausfinden, was mit Tron und Hagbard Celine passiert ist.“
„Du denkst immer noch, dass du mich verarschen kannst, oder? Du hast deine Entscheidung noch nicht getroffen, und genau da liegt das Problem. Du
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