Der kranke Gesunde
meinem Mann Fabian auf einmal klar, welche Fragen wir uns ständig stellen und welche nie. Fabian fragte mich z. B. oft: ›Wie geht es dir‹ und meinte damit immer nur meinen Kopfschmerz. Wir fragten uns nie: ›Wie fühlst du dich?‹ Was das bedeutet, haben wir erst mit der Zeit verstanden. Fabian und ich hatten darüber geredet, wie es uns körperlich-medizinisch geht. Ich hatte mich auch selbst nicht gefragt, wie ich mich meinem Mann gegenüber eigentlich fühle. Als ich es tat, kam heraus: Ich fühlte mich verzweifelt! Diese Erkenntnis hat mich selbst zwar erschreckt, aber damit war eine neue Tür geöffnet. Umgekehrt war ich nun ja auch gezwungen, Fabian zu fragen, wie er sich fühlt – auch mit mir, meiner Brummeligkeit und meinen ständigen Beschwerden. Diese Fragen nach dem Fühlen (statt nach Symptomen) waren uns neu, aber sehr hilfreich.«
2. Schritt: Eine neue Sichtweise einnehmen
Mit dem Blick hinein in das Funktionieren des Körpers und seiner Organe wollten wir der Psyche neues Wissen geben und damit eine neue Sicht auf ihren Körper. Jetzt erweitern wir diesen Blick in den Körper um den auf den Körper in seinem Umfeld: Auf welche Ereignisse in seinem Umfeld reagiert er mit Symptomen? (Das Umfeld in Form von Natur, Klima und materiellen Lebensverhältnissen lassen wir hier bewusst außen vor, denn dieses ist eher für somatische als für psychosomatische Krankheiten wichtig. Wir gehen in diesem Buch deshalb nicht darauf ein. Das heißt keineswegs, dass wir uns der Bedeutung dieser Welt für die Gesundheit aller Lebewesen nicht bewusst sind.) Zurück zum Umfeld des Symptoms beginnen wir mit zwei einfachen Fragen:
Was geht dem Symptom typischerweise voraus?
Was geschieht nach seinem Auftritt: Wie reagiert das Umfeld auf das Symptom?
Zunächst zur ersten Frage.
Was geht dem Symptom typischerweise voraus?
Beschäftigen wir uns zunächst mit dem, worauf der Körper reagiert bzw. was seinem Symptom zeitlich vorausgeht. Warum ist diese Frage für den Heilungsprozess überhaupt wichtig? Wenn Sie erkennen, worauf Ihr Körper reagiert, können Sie sich bzw. Ihren Körper davon vielleicht fernhalten. Sie können solche Situationen vielleicht ganz vermeiden oder zumindest so verändern, dass diese keine Symptome mehr auslösen.
Wann und warum schmerzt Olivers Rücken?
Oliver: »Ich arbeite viel und für mein Leben gern. Ich bin Heizungsmonteur und lebe zufrieden alleine. Neben meiner offiziellen Arbeitsstelle bin ich abends und am Wochenende oft noch für Freunde oder meinen Fußballverein aktiv. Danach bin ich dann oft so aufgedreht, dass ich 2–3 Flaschen Bier trinke, um zur Ruhe zu kommen. Ich muss oft in ziemlich einseitigen Körperhaltungen schwere Arbeit verrichten. Da ich sehr ungeduldig bin und es mir sehr schwer fällt, andere um Hilfe zu bitten, verkrampfe ich mich dabei oft. Es ärgert mich, wenn ich aus Kostenspargründen unter Zeitdruck nicht korrekt und sorgfältig arbeiten kann. In der Therapie wurde mir erst bewusst, dass das alles Auslösefaktoren für meine Schmerzen sind. Denn danach hatte ich immer meine Kreuzschmerzen. Früher machte ich mir wenig Gedanken darüber. Ich nahm meine Schmerzmittel ein und arbeitete weiter. Ich hatte keine Muße, in meiner Freizeit Ausgleich für diese Belastungen zu finden. Mein Arzt sagte mir, dass kein schwerwiegender organischer Befund für die Schmerzen vorläge und dass ich mich mit der vielen Arbeit überlaste. Aber es gelang mir nicht, meinen Freunden zu sagen, dass ich nicht mehr so viel für sie tun könne.
In der Therapie ging ich mit meinem Therapeuten einmal folgende ›Schmerzsituation‹ genauer durch: Ich war an einem Freitagabend mit Freunden zusammen und bekam Kreuzschmerzen. Ich konnte mich kaum vom Tisch erheben und musste mich nach Hause bringen lassen. Ich war verzweifelt, als die Schmerzen auch noch am nächsten Morgen da waren und ich nur mit Mühe aufstehen konnte. Meine Gedanken kreisten nur um den Schmerz. Erst in diesem Gespräch wurde mir bewusst, dass dem an diesem Freitagabend etwas vorausgegangen war, was ich völlig vergessen hatte, nämlich dass bei der Abendrunde mehrfach abfällige Bemerkungen über Handwerker gefallen waren. Über diese hatte ich mich sehr geärgert, aber nichts dazu gesagt.«
Psychosomatischen Patienten ist in der Regel nicht bewusst, worauf sie mit ihren Symptomen reagieren.
Welche Faktoren kommen bei Oliver zusammen?
Wie bei Oliver ist es typisch, dass mehrere Aspekte zusammenkommen, die wir
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