Der kranke Gesunde
Das war zuerst schon komisch, dann aber sehr ergiebig. Zunächst standen wir beide uns ja ›hämisch‹ gegenüber. Als ich ihn aber fragte: ›Was rätst du mir?‹ hatte er geantwortet: Lass dich von mir als Erstes nicht mehr so beherrschen. Nicht jede meiner Regungen ist gleich ein Unglück! So mächtig, wie du mich siehst, bin ich gar nicht und will es auch gar nicht sein. Stell dir das Leben mit mir doch mal einfacher vor und konzentriere dich auf anderes, Wichtigeres. Danach hatte ich in der Übelkeit auf einmal ein hilfsbedürftiges Kind gesehen; ich wollte meine eigene Übelkeit plötzlich trösten statt sie zu bekämpfen. Solchen Trost hatte ich mir als Kind auch von meinen Eltern gewünscht, wenn ich voller Angst war. Nach diesem Dialog bekam ich eine ganz neue Beziehung zu meinem Magen und seiner Übelkeit.«
Psychotherapeut: »Aus dem ›Symptom als Störung‹ wurde so das ›Symptom als freundlicher Ratgeber‹.«
Nora: »Mir war schon klar, dass es nicht nur um meine Beziehungen zu meinen Symptomen gehen würde, sondern auch um meine Beziehungen zu anderen Menschen. Ein Thema war beispielsweise der gemeinsame Urlaub; bisher war ich der Überzeugung, dass ich meinen Mann und die Kinder begleiten müsse und auf keinen Fall zu Hause bleiben könne, auch wenn mich meine Ängste und Übelkeit vorher noch so peinigten.«
»Ein Gesetz ihrer Psyche lautete: ›Denk immer zuerst an andere!‹«
Psychotherapeut: »Das ist nur ein Beispiel für ein dominierendes Gesetz ihrer Psyche : ›Denk immer zuerst an andere!‹ Als sie das erkannte, war auch klar, was nun folgen sollte: Lernen, Nein zu sagen und auch an sich zu denken.«
Nora: »Das Experiment, Mann und Kinder allein fahren zu lassen, war sehr befreiend für mich. Die drei haben den Urlaub genossen. Mir kamen in dieser Zeit wichtige Erinnerungen an die Vergangenheit hoch. Mein Vater war vor einigen Jahren verstorben. Schmerz und Trauer tauchten auf, erst wollte ich das nicht so recht zulassen, aber der Therapeut ermutigte mich, meine Gefühle zu spüren und auszudrücken. Sätze wie ›Ich vermisse dich so‹ und ›ich hab dich doch so geliebt‹ kamen hoch. Endlich konnte ich um meinen Vater weinen, diesen Verlust betrauern. Das tat mir gut.
Während der Therapie kamen auch Erinnerungen aus meiner früheren Kindheit: Wie ich und meine kleine Schwester ängstlich warteten, wenn meine Eltern abends aus dem Haus gingen und erst spät nachts wiederkamen. Schon damals hatte ich dieses mulmig-ängstliche Gefühl. Meinen Eltern habe ich nichts davon erzählt.«
Psychotherapeut: »Das war eine Begegnung ihrer erwachsenen Psyche mit ihrer früheren kindlichen Psyche. Solche Begegnungen mit der Vergangenheit sind in Therapien manchmal wichtig. Sie sind meistens schmerzhaft und heilsam zugleich. Ein heilsames Zulassen von Gefühlen in der Psyche durch die Psyche!«
Nora: »Seit ich weiß, wie sehr meine Übelkeit mit den Gefühlen von Angst und Verlassensein verquickt ist, kann ich jetzt auch meinen Mann bitten, mir dann die Geborgenheit zu geben, die ich damals vermisste. Ich fühle mich schon etwas besser, wenn er mich in den Arm nimmt und streichelt.
Ein weiterer heilsamer Schub war die Entscheidung, in meinen Beruf zurückzukehren. Das hatte der Therapeut angeregt. Ich konnte tatsächlich wieder in meinem alten Laborteam anfangen. Nach der Therapie war meine Übelkeit zwar nicht ganz verschwunden, raubte mir aber nicht mehr so viel an Lebenskraft und Lebensfreude. Sie, der Magenschmerz und der Durchfall kamen viel seltener und wenn, dann wusste ich was los war und was ich tun konnte.«
1. Schritt: Neue Fragen stellen
Man kann den Inhalt solcher Veränderungsschritte nicht von einem auf einen anderen Betroffenen übertragen. Sie müssen für jeden neu gefunden werden. Im nächsten Schritt stellen wir Ihnen daher eine Übung vor, mit der Sie einen etwas tieferen Einblick in Ihre eigene Psyche und in ihre Beziehung zu ihrem Symptom finden können.
ÜBUNG
Fragen Sie Ihre Psyche zu ihrer Beziehung zum Symptom
In dieser Übung geht es um Fragen, die Sie Ihrer Psyche stellen können. Sie beziehen sich alle darauf, wie Ihre Psyche die Beziehung zu Ihrem Körper erlebt: »Meine Reaktionen auf dich.« Direkt oder indirekt stößt ein solcher Dialog an fast alle Stellen, an denen Veränderungen möglich sind. Das ist wie in einer Partnerschaft, die in einer Krise steckt: Ein offenes Gespräch miteinander lässt meistens erkennen, wer was wie ändern kann. Es
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