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Der kranke Gesunde

Der kranke Gesunde

Titel: Der kranke Gesunde Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Andreas von Pein , Hans Lieb
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Reaktionen aufeinander bewusst zu werden, um dann zu bewussteren Entscheidungen zu gelangen, was man beibehalten und was man ändern will. Die Familie setzt sich zusammen und nimmt sich etwas Zeit. Dann einigt man sich auf eine typische Situation, in der der »Kranke« (X) seine Beschwerden hat bzw. andere das mitbekommen. Jeder vergegenwärtigt sich diese Situation und was nach seiner Erinnerung dabei abgelaufen ist: Wo er sich befand, auf welche Weise man als X seine Beschwerden bemerkte bzw. als Angehöriger das mitbekam. Was war zuvor geschehen? Wie hat man selbst oder andere dann gehandelt? Dann beantworten alle der Reihe nach folgende Fragen – zuerst jeder für sich selbst und anschließend vor den anderen:
Mit welchem Gefühl reagierte ich auf die Beschwerden von X? (X: Mit welchem Gefühl reagierte ich auf meine Beschwerden?)
Was glaube ich, erwartete X in diesem Moment von mir? (X: Was erwarteten die anderen von mir?)
Was erwarte ich von X in solchen Situationen? (X: Was erwarte ich von den anderen?)
Was glaube ich, soll ich als Teil dieser Familie in solchen Momenten nicht denken, nicht fühlen und nicht tun?
Gibt es etwas, was ich gerne tun würde, mich aber nicht traue?
Was würden die anderen denken oder tun, wenn ich das (doch) einmal wagen würde?
    Wenn das alles ausgesprochen ist, kann man eine zweite Runde anhängen: Was ist jetzt neu? Was wusste man nicht von sich oder voneinander? Was könnte man in einer ähnlichen Situation das nächste Mal anders machen: Was neu denken oder tun? Was mal unterlassen bzw. womit einfach aufhören?
    Die Psyche des Kranken kann sich dabei schuldig und als Belastung für andere fühlen. Manche Psyche erlaubt sich auch selbst in der Krankenrolle Dinge, die sie sich sonst verbietet, sich zum Beispiel einmal zu schonen oder Fehler zu machen, ohne den sonst geltenden Perfektionsanspruch. Der »Kranke« kann sich in anderen Fällen auch dagegen wehren, dass ihm diese Rolle zugeschrieben wird. Das alles entscheidet die Psyche des Einzelnen. Über Rechte und Pflichten rund um die Krankenrolle selbst kann sie weniger entscheiden. Das legt die soziale Welt fest.
Die »Tücken« der Krankenrolle
    Bei akuten Krankheiten bestehen Krankenrollen nur auf Zeit. Anfang und Ende werden oft durch einen Experten bestimmt. Der Arzt »schreibt krank« und dann wieder »gesund«. Wird jemand chronisch krank, hält diese Rolle an, manchmal ein Leben lang. Das gilt dann für beide Seiten: Die Kranken bleiben krank und die Gesunden ihnen gegenüber in der Rolle der gesunden Krankenbetreuer. Es kann sein, dass die Krankheit ausgeheilt ist, aber die Krankenrolle fortbesteht. Verhängnisvoll ist es, wenn die andauernde Krankenrolle am Ende selbst krank macht. Man fühlt sich dann so, wie es die Rolle vorgibt: krank! Problematisch wird es auch, wenn die Konturen unklar werden: Besteht die Krankheit noch oder noch ein bisschen oder gar nicht mehr? Oder es ist unklar geworden: Welche Schwächen, welches Leid gehören zur Krankheit und welche nicht? Bei organischen Krankheiten sind die Konturen meistens klarer, auch das Ende der Krankenzeit.
Probleme, die aus der Krankenrolle erwachsen können
    Bei psychosomatischen Erkrankungen werden diese für alle Seiten unscharf – für die Kranken, für die Partner, für Eltern, für Kinder, für Kollegen. Mit diesen Unschärfen umzugehen, wird dann ein eigenes Problem, das das Zusammenleben mehr belasten kann als die ursprüngliche Krankheit selbst. Gehört es beispielsweise zur Krankheit, wenn der Kranke alltäglichen »Pflichten« nicht nachkommt wie Überweisungen tätigen, den Urlaub organisieren, im Haushalt mitarbeiten, den Streit der Kinder schlichten? Ist das Einschlafen der Sexualität Teil der Krankheit oder hat das andere Gründe? Sind Rücksicht und Schonung gegenüber dem Kranken noch gute Fürsorge oder Ausdruck starr gewordener und am Ende selbst krankmachender Rollen? Ist der Kranke passiv,weil er krank ist oder krank, weil er passiv ist? Oder will er einfach nicht? Hat er sich in seiner Krankenrolle eingenistet?
    Haben sich solche Rollen einmal etabliert, können ihnen Verhaltensweisen zugeschrieben und mit der Krankheit erklärt werden, die damit eigentlich gar nichts zu tun haben. Man kann das selbst testen: Verhalten Sie sich einmal eine Woche als »Kranker« und lassen sich von anderen so behandeln. Sie werden sich dann ziemlich sicher auch krank fühlen. Was man einem Gesunden an Kritik oder Erwartung zutrauen würde, wird dann vor

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