Der Krater
Strukturputzes an der Decke des Hauses auf, in dem er aufgewachsen war. Er dachte an das Geld, das die NPF ihm schuldete. Sie konnten ihm nicht einfach so ein halbes Monatsgehalt Abfindung verweigern, das hier war immerhin ein Rechtsstaat. Und sein Urlaubsausgleich? Dieses Geld hatte er verdient. Das war nicht in Ordnung. Er fragte sich, ob Derkweiler womöglich aktiv seine Bemühungen sabotierte, eine neue Stelle zu finden – bisher war er nicht einmal bis zu einem Bewerbungsgespräch gekommen. Unglaublich: Da saß er nun auf einer wissenschaftlichen Entdeckung, wie man sie nur einmal im Leben machte, konnte nichts damit anfangen und wurde vom Establishment behandelt wie ein Stück Dreck.
Er hatte noch ein Ass im Ärmel: die Festplatte. Er fragte sich, wann sie die vermissen würden. Eine Idee nahm Gestalt an. Er erinnerte sich, dass vor Jahren einmal eine als geheim eingestufte Festplatte in den Los Alamos National Labs verlegt worden war. Der Vorfall hatte es auf die Titelseite der
New York Times
geschafft und zur Entlassung des Direktors und einer ganzen Reihe von Wissenschaftlern geführt. Vielleicht sollte die NPF -Festplatte in irgendeinem FBI -Büro auftauchen. Allein die Tatsache, dass sie sich außerhalb des Institutsgeländes befand, würde einen Skandal hervorrufen. Und wem würde man die Schuld daran geben? Dem Leiter der Mission.
Er setzte sich auf.
Natürlich, das war es.
Chaudrys Karriere wäre ruiniert, wenn bekannt würde, dass jemand aus seiner Abteilung mit einer Festplatte hinausspaziert war, die der Geheimhaltung unterlag. Und Derkweiler wäre ebenfalls so gut wie erledigt. Er hatte sie beide bei den Eiern. Doch es hatte keinen Sinn, sie um der Rache willen abzuschießen. Nein … Die Drohung, damit zum FBI zu gehen, würde ihm nur als Druckmittel dienen. Als Peitsche sozusagen. Das Zuckerbrot bestand darin, dass er eine Entdeckung hatte, mit der sie beide ebenso berühmt werden würden wie er – wenn sie denn klug genug waren, ihn wieder einzustellen.
Das war doch mal ein Plan. Ein kurzer Anruf, nichts Schriftliches. Er würde nur das verlangen, was ihm zustand, etwas, das Chaudry mit einem Kugelschreiber und ein paar einfachen Worten bewirken konnte – er wollte nur seine Stelle zurück. Für seine Entdeckung mussten sie ihm alles verzeihen. Er verspürte eine wachsende Erregung. Sollte Chaudry sein Angebot ablehnen und den Diebstahl der Festplatte melden, wäre Chaudrys Karriere beendet. Er würde nie wieder mit geheimem Material arbeiten. Chaudry war klug, er war vernünftig, aber vor allem war er ehrgeizig. Er würde die Situation schnell richtig einschätzen.
Corso sah auf die Uhr. Zehn Uhr vormittags in New York, sieben Uhr früh in Kalifornien. Chaudry war sicher noch zu Hause. Perfekt.
Er brauchte ganze dreißig Sekunden, um die Telefonnummer im Internet zu finden. Corso wählte sie langsam und bedächtig, mit hämmerndem Herzen, während er durchging, was er sagen würde.
Ich habe eine
NPF
-Festplatte hier, die der Geheimhaltung unterliegt und sämtliche hochauflösenden Fotos des Planeten enthält. Freeman hat sie mir geschickt, bevor er ermordet wurde. Auf dieser Festplatte befindet sich ein Bild von einem Gegenstand, der außerirdischen Ursprungs ist. Einer Maschine. Glauben Sie mir, Sie werden sie nicht finden. Aber ich habe sie gefunden.
Ich schlage Ihnen Folgendes vor: Sie stellen mich wieder ein und bekommen die Festplatte zurück. Niemand wird von der schweren Sicherheitspanne erfahren – und wir beide teilen uns den Ruhm für die größte wissenschaftliche Entdeckung aller Zeiten. Wenn Sie sich weigern, schicke ich die Festplatte anonym ans
FBI
, und mit Ihrer Karriere ist es vorbei. Aus, Ende. Wissen Sie noch, was in Los Alamos passiert ist?
Die Entscheidung liegt ganz bei Ihnen. Denken Sie gründlich darüber nach, ehe Sie eine Dummheit begehen.
Das Telefon begann zu klingeln. »Hallo?«, kam Chaudrys kühle Stimme aus dem Hörer.
43
F ord stieg von dem Beiboot auf die Felsen von Shark Island und sog tief die salzige Luft ein. Er war froh, wieder festen Boden unter den Füßen zu haben – von der Bootsfahrt aufs offene Meer, selbst bei ruhiger See, war ihm ein wenig schlecht. Er war nicht zum Seemann geboren, das musste man zugeben. Der strahlende Sommertag tauchte die Insel in warmes Sonnenlicht, und der Ozean erstreckte sich schimmernd vom Festland bis zum Meereshorizont. Möwen kreisten über ihren Köpfen und kreischten empört, weil sie von ihren
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