Der Kreis aus Stein
Entschlossenheit zu stählen, indem er sich vorstellte, wie es sein würde – wie er im Sturm die Mauern überstieg, gegen die Wachen kämpfte.
Borenson stellte sich vor, wie er in die Burg hineinritt, zum Tor des Bergfrieds der Übereigner, alles an Verteidigern niederritt und seine traurige Pflicht erledigte.
Ein solcher Angriff würde vermutlich heldenhaft aussehen und ihn wahrscheinlich das Leben kosten. Er wollte es tun, wollte diese schreckliche Aufgabe hinter sich bringen, ja, er hätte diesen selbstmörderischen Angriff durchgeführt – wäre da nicht Myrrima gewesen.
Wenn er bei Tageslicht versuchte, in den Bergfried vorzudringen, konnte das seine Mission zum Scheitern verurteilen. Mehr noch, selbst wenn er sich Zutritt in den Bergfried verschaffte und es ihm gelänge, die Übereigner niederzumetzeln, wäre er anschließend gezwungen, zu seinem König zurückzukehren und Bericht zu erstatten… darüber, was sich zwischen ihm und Gaborn abgespielt hatte und wieso er Sylvarresta das Leben gelassen hatte.
Mit diesem Gedanken konnte Borenson sich nicht abfinden.
Er konnte König Orden nicht anlügen und so tun, als habe er Gaborn nicht getroffen.
Also sah er zu, wie die Sonne im Westen unterging, wie sie ihr goldenes Licht über die Wolken breitete, während am Horizont bereits das nächste Unwetter heraufzog.
Er holte sein Pferd und ritt zum Hügel südlich von Burg Sylvarresta.
Ich bin nicht der Tod, sagte er sich, auch wenn er lange trainiert hatte, um ein guter Soldat zu werden. Ein in jeder Hinsicht vorzüglicher Soldat. Und jetzt würde er die Rolle des Meuchelmörders spielen.
Ein Bild blitzte vor seinem inneren Auge auf: Fünf Jahre zuvor war Königin Orden mit ihrem Neugeborenen im Bett ermordet worden. Borenson hatte versucht, den Kerl zu pfählen, einen riesigen Mann, der sich bewegt hatte wie eine Schlange, ein Mann in einem schwarzen Gewand, das Gesicht verdeckt. Doch der Meuchelmörder war entkommen.
Die Erinnerung daran war schmerzhaft. Noch schmerzhafter war die Gewißheit, diesen namenlosen Meuchelmörder an Ruchlosigkeit noch zu übertreffen.
Im Näherkommen sah Borenson, daß an diesem Abend nur wenige Soldaten auf den Mauern von Burg Sylvarresta Wache hielten. Sylvarrestas treue Krieger waren arg dezimiert worden. Raj Ahten hatte niemanden zurückgelassen, um die leeren Hüllen zu bewachen. Auf den Mauern des Bergfrieds der Übereigner konnte Borenson keinen einzigen Mann entdecken.
Das stimmte ihn traurig. Alte Freunde – Kommandant Ault, Sir Vonheis, Sir Cheatham – hätten auf diesen Mauern stehen sollen. Aber falls sie noch lebten, befänden sie sich jetzt im Bergfried der Übereigner. Er erinnerte sich, wie er vor drei Jahren Melasse zur Jagd mitgenommen und sie auf eine Fährte im Wald gestrichen hatte, die zu Derrow führte, und er dann die Stiefel des Kommandanten eingeschmiert hatte.
Als Derrow dann beim Aufwachen feststellen mußte, daß ein Bärenweibchen ihm die Füße leckte, hatte er das gesamte Lager mit seinem Schrei geweckt.
Borenson holte das weiße Fläschchen hervor, zog den Stopfen heraus und ließ den Nebel ausströmen.
So kam es, daß er eine halbe Stunde später seine Rüstung ablegte und sich auf den Weg zu seinem einsamen Sturmangriff machte. Im Schutz des Nebels, der sich über ihn legte, erklomm er die äußere Mauer auf der Westseite der Stadt.
Dann begab er sich zur inneren Mauer, der Königsmauer, und kletterte rasch hinüber. Auf der Mauer hielt nur ein einzelner junger Mann Wache, und der kehrte ihm in diesem Augenblick den Rücken zu.
Gegen Mitternacht erreichte Borenson den Sockel des Bergfrieds der Übereigner und beobachtete ihn aufmerksam.
Er verließ sich nicht auf seine Augen, denn er befürchtete, im Turm des Königs könnten sich möglicherweise Wachen verbergen. Daher erstieg er dessen Ummauerung von Norden her und erreichte ihn durch das Wäldchen bei den Grabstätten, wo die Gefahr, entdeckt zu werden, geringer war.
Regen prasselte auf den Bergfried herab, was es erschwerte, zwischen den Mauersteinen Halt zu finden. Es dauerte lange Minuten, bevor er den oberen Rand der Mauer erreichte.
Dort stellte er fest, daß die Wehrgänge sämtlich unbemannt waren. Als er aber die Stufen in den Innenhof hinunterrannte, entdeckte er zwei Stadtgardisten – junge Männer mit wenigen Gaben –, die sich wegen des heftigen Regens in den Schutz des Fallgatters verzogen hatten.
Ein Blitz erleuchtete den Himmel, da stürzte er sich auf sie
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