Der Kreis aus Stein
Geisel.
Im stillen drängte er Gaborn, sich zu beeilen, scharf und schnell zu reiten und nicht nachzulassen, bis er Longmot erreicht hatte.
Die Spurenleser waren kaum über den Hügel links von Borenson galoppiert, als die Armee des Wolflords die Straße entlangmarschierte, die goldenen Wappenröcke leuchtend hell in den letzten Strahlen der Sonne vor dem aufziehenden Unwetter.
Erst kamen die Bogenschützen, Tausende von Männern stark, in Viererreihen. Es folgten Ritter hoch zu Roß, eintausend Mann. Dann kamen Raj Ahtens Berater und Zauberer.
Die Soldaten des Wolflords interessierten Borenson nur wenig. Statt dessen beobachtete er, was als nächstes folgte. Ein riesiger Karren, von Holz umschlossen. Ein Karren mit Übereignem – wahrscheinlich weniger als drei Dutzend. Der Wagen wurde von Hunderten Unbesiegbarer scharf bewacht.
Ein Pfeil konnte die hölzernen Wände nicht durchdringen.
Einem einzelnen Mann würde es unmöglich sein, die Insassen des Karrens anzugreifen.
Raj Ahten konnte nur einige Vektoren mit auf die Reise nehmen und darauf hoffen, daß niemand die Hunderte armer Übereigner in Sylvarrestas Bergfried erschlug – oder in anderen Bergfrieden, die er womöglich hier im Norden erobert hatte.
Schließlich eilten die Köche, die Waffenmeister und die Marketender und weitere eintausend Schwertkämpfer vorbei, gefolgt von den letzten eintausend Bogenschützen der Nachhut. Erbittert mußte Borenson erkennen, daß es unmöglich war, Raj Ahtens Übereigner umzubringen.
Er würde sich darauf konzentrieren müssen, in den Bergfried der Übereigner auf Burg Sylvarresta einzubrechen. Besorgt fragte er sich, wie viele Wachen ihn dort wohl erwarteten.
Lange Stunden hockte er am Waldrand, während das Unwetter sich zusammenbraute und die Wolken sich den Himmel unterwarfen. Der böige Wind wehte trockenes Laub aus dem Wald heraus. Als es Abend wurde, zuckten die ersten Blitze herunter. Ein dichter, unerbittlicher Regen ging hernieder.
Borenson zog sich eine Decke über den Kopf und dachte über Myrrima nach, die in Bannisferre wartete: Sie hatte drei Übereigner – ihre schwachsinnige Mutter und zwei häßliche Schwestern. Die drei hatten soviel aufgegeben, um die Familie zu vereinen und den Kampf gegen die Armut zu gewinnen.
Myrrima hatte Borenson auf dem Weg zu ihrem Haus erzählt, wie ihr Vater zu Tode gekommen war.
»Meine Mutter wuchs in einem eleganten Haus auf und besaß selbst Gaben«, hatte sie erzählt. »Und mein Vater war früher ein wohlhabender Mann. Er verkaufte feines Tuch auf dem Markt und stellte Wintermäntel für die Damen her. Doch ein Feuer zerstörte sein Geschäft und sämtliche Mäntel. Das gesamte Gold der Familie muß in diesem Brand verlorengegangen sein, denn wir haben nie etwas davon wiedergefunden.«
Eine stolze Art zu sagen, daß ihr Vater bei einem Raubüberfall ermordet worden war.
»Mein Großvater lebt noch, aber er hat sich eine junge Frau genommen, die mehr ausgibt, als er heranschafft.«
Borenson hatte sich gefragt, worauf sie hinauswollte, bis sie ihm leise den Anfang eines alten Sprichworts aufsagte. »Das Glück ist ein Boot…« in einer stürmischen See, das mit jeder berghohen Woge steigt und fällt .
Myrrima, soviel hatte er verstanden, hatte ihm sagen wollen, daß sie dem Glück nicht traute. Vielleicht erschien ihr diese arrangierte Heirat im Augenblick als Glück, aber das lag nur daran, daß sie sich gerade auf einem Wellenkamm befanden, sie dagegen befürchtete, ihr kleines Boot könnte jeden Moment in ein tiefes Wellental stürzen und vielleicht für immer versenkt werden. Und genauso fühlte sich Borenson in diesem Augenblick, versenkt, kurz vor dem Ertrinken, ohne große Hoffnung, sich über Wasser halten zu können. Schon die Idee, als einzelner Mann in einen Bergfried der Übereigner einzudringen, war verrückt. Aller Wahrscheinlichkeit nach würde Borenson am Bergfried eintreffen, ihn gut bewacht vorfinden und sich daraufhin zurückziehen.
Doch er wußte, er wußte es ganz genau, selbst wenn er nur eine hauchdünne Chance hatte, in den Bergfried einzubrechen, würde er sie ergreifen müssen.
Am Abend, als das Unwetter vorbei war, saß er immer noch still da und lauschte, wie das Wasser verstohlen von den Bäumen tropfte, wie die Äste leise im Wind knarrten. Er roch das modernde Laub, die fette Erde des Waldes, den reinen Duft des Landes.
Es gefiel ihm ganz und gar nicht, Übereigner zu ermorden.
Stundenlang versuchte Borenson seine
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