Der Kreis aus Stein
der Erde besser als ich. Vielleicht haben ihn dringende Angelegenheiten an einen anderen Ort gerufen.«
Er richtete die Hand auf Raj Ahtens Pferd. Die drei verbliebenen Pferde reagierten darauf, indem sie auf ihn zukamen, und Jureem mußte einen Augenblick lang mit seinem Reittier kämpfen, um zu verhindern, daß es ebenfalls vorwärts ging.
»Was tut Ihr da?« fragte Raj Ahten.
Binnesman antwortete: »Es ist spät. Für die Feinde der Erde wird es Zeit, ihre Augen auszuruhen und vom Frieden zu träumen.«
Jureem kämpfte mit seinem Pferd und beobachtete überrascht, wie Raj Ahten und seine Soldaten – fast augenblicklich – einschliefen. Raj Ahten blieb im Schlaf auf der Stelle stehen, wie auch andere der Soldaten. Die meisten jedoch fielen laut schnarchend zu Boden.
Der alte Zauberer betrachtete die schlafenden Krieger und sprach leise: »Hütet Euch, Raj Ahten. Hütet Euch vor Longmot.«
Dann hob er den Kopf und zog damit Jureems Aufmerksamkeit auf sich. »Ihr seid noch wach? Was für ein Wunder! Ihr seid als einziger von ihnen kein Feind der Erde.«
Jureem war überrascht. Sein Herr wurde überwältigt, und der alte Zauberer und die ihm Anvertrauten waren noch am Leben. Er suchte stammelnd nach Worten.
»Ich… diene meinem Herrn, aber ich wünsche der Erde nichts Böses.«
»Ihr könnt nicht ihm und gleichzeitig der Erde dienen«, erwiderte Binnesman und bestieg Raj Ahtens Pferd. »Jetzt kenne ich seine Seele. Er würde die Erde vernichten.«
»Ich bin ein Mann des Königs«, sagte Jureem, denn etwas anderes fiel ihm nicht ein. Sein Vater war ein Sklave gewesen, ebenso dessen Vater. Er wußte, wie man ein Diener seines Königs war, und zwar ein guter.
»Der Erdkönig kommt«, sagte Binnesman. »Wenn Ihr einem König dienen wollt, dann dient ihm.«
Mit einem Nicken bedeutete er Prinz Orden und Iome aufzusitzen. König Sylvarresta hockte noch immer im Sattel.
Binnesman sah Jureem lange an. Dann ritten der Zauberer und seine Schützlinge in die Nacht, zurück die Straße hoch, die sie gekommen waren.
Eine ganze Weile blieb Jureem auf dem Pferd sitzen und sah zu, wie Raj Ahten schlief.
Die Nacht schien dunkler als alle anderen in seiner Erinnerung, und das, obwohl die Sterne durchaus hell leuchteten. »Ein König ist im Land«, hatte die Feuerdeuterin vor ihrem Tod gewarnt. »Ein König, der Euch vernichten kann.« Und nun war, so hatte Binnesman behauptet, der Erdkönig auf dem Weg hierher. Seit Erden Geboren hatte sich kein Erdkönig mehr im Land erhoben. Auf Longmot traf König Orden sicher schon Vorkehrungen für Raj Ahtens Angriff.
Jureem sah hinunter auf die Obalin. Wo einst die Sieben Aufrechten Steine gestanden hatten, lagen die Geschöpfe jetzt in Trümmern. Er fragte sich, welch böses Omen dies war. Sein Herz klopfte, und er blieb eine ganze Weile auf dem Pferd sitzen, fühlte die warme Nachtluft, schmeckte den unverwechselbar mineralischen Beigeschmack der Erde in der Luft. Fast hätte er kehrt gemacht und wäre dem Zauberer nachgeritten. Doch wenig später schon hatte sich der Hufschlag im Wald verloren.
Er starrte seinen Herrn an.
Über Jahre hinweg hatte Jureem dem Großmächtigen alles überlassen, hatte jeder seiner Launen nachgegeben. Hatte sich bemüht, ein guter Diener zu sein. Jetzt blickte er tief in sein eigenes Herz und begann sich zu fragen, warum.
Vor Jahren hatte es eine Zeit gegeben, in der Raj Ahten oft davon gesprochen hatte, eine Armee aufzustellen, die Königreiche des Südens unter einem einzigen Banner zu vereinen und die Angriffe der Greifer zurückzuwerfen.
Irgendwie hatte sich der Traum mit den Jahren verändert und verzerrt.
Das Große Licht, so hatte Jureem ihn genannt. So als wäre er einer der Hellen oder Glorreichen aus dem Jenseits.
Jureem wendete sein Pferd.
Ich bin der Schwächste hier, sagte er sich. Aber vielleicht nimmt Orden meine Dienste an.
Ich wäre ein Verräter, überlegte er. Wenn ich davonreite, wird Raj Ahten glauben, ich sei der Spion, der Orden von dem Versteck der Zwingeisen unterrichtet hat.
Er dachte nach. Ja, er wußte viele Geheimnisse, die er enthüllen konnte. Und wenn er ging, dann bedeutete [dies, daß Raj Ahten noch immer einen Spion in seiner litte hatte.
Er wird erwarten, daß ich nach Süden reite, nach Longmot, überlegte Jureem. Und das werde ich nach einer Weile auch tun, um Orden zu suchen.
Heute abend jedoch würde er nach Norden reiten und sich eine Scheune oder einen Schuppen suchen, um darin zu übernachten.
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