Der Kreis aus Stein
und erschlug sie, als der Donner den Bergfried erzittern ließ.
So hörte niemand ihre Schreie.
Borenson war noch immer von Staunen erfüllt, während er die jungen Männer tötete. Kein einziger Unbesiegbarer? Kein einziger Soldat, um all diese Übereigner zu bewachen?
Ihm kam es vor wie eine Falle. Vielleicht versteckten sich die Männer zwischen den Übereignern.
Er drehte sich um und betrachtete das nasse Pflaster im Bergfried. In den großen Sälen brannte kein Licht, in den Küchen leuchtete allerdings noch eine Laterne. Ein wüster Wind blies durch das Fallgatter herein und peitschte den Regen durch den Innenhof.
Übereigner umzubringen, war eine Kunst, eine Wissenschaft.
Einige der Übereigner dort drinnen, das wußte Borenson, waren selbst Krieger, Männer wie er, die über Dutzende von eigenen Gaben und langjährige Erfahrung verfügten. Sie waren vielleicht Krüppel, taub oder blind, stumm oder ohne Geruchssinn, dennoch stellten sie durchaus noch eine Gefahr für ihn dar. Die meisten von ihnen waren mit Sicherheit Männer.
Wenn man eine solche Aufgabe zu erledigen hatte, gebot der gesunde Menschenverstand, daß man zunächst die Übereigner der Übereigner tötete und so die gefährlicheren Feinde schwächte.
Daher erschlug man als erstes die Frauen und Kinder. Man achtete stets darauf, mit den Schwächsten zu beginnen. Wenn man einen Mann mit zwanzig Gaben tötete, würde man feststellen, daß zwanzig Übereigner erwachten, die Alarm schlagen oder sich wehren konnten.
Es schien vielleicht reizvoll, einen oder zwei Übereigner zu verschonen – die Wahrheit war jedoch, daß sie die Garde riefen, wenn man es tat. Also tötete man sie alle.
So ermordete man einfach Bürger, die nur Gaben abgetreten und nie welche übernommen hatten. Und man fing ganz unten im Bergfried an, versperrte alle Ausgänge und arbeitete sich dann in die oberen Stockwerke hoch. Es sei denn natürlich, irgend jemand im Bergfried war wach.
Am besten nehme ich mir zuerst die Köche vor, sagte sich Borenson. Er schloß das Fallgatter, damit niemand den Bergfried betreten oder aus ihm fliehen konnte, dann machte er sich auf den Weg. Die Tür war abgeschlossen, aber er schob sein Kurzschwert in den Spalt. Mit Gaben der Muskelkraft von acht Männern war es kein großes Kunststück, die Tür aus den Angeln zu heben.
Als er in die Küche stürzte, begegnete er einem Mädchen, dem man aufgetragen hatte, in der Nacht den Boden zu fegen.
Ein junges Ding, vielleicht acht, mit strohblondem Haar. Er erkannte es wieder, beim letzten Hostenfest hatte es Prinzessin Iome bedient. Zu jung, um eine Gabe abzutreten, hätte er gedacht. Sylvarresta hätte von ihm bestimmte nie eine Gabe übernommen.
Aber Raj Ahten war hier gewesen, wie Borenson erkannte.
Das Mädchen hatte ihm eine Gabe abgetreten.
Als es Borenson in der Tür sah, öffnete es den Mund und wollte schreien. Kein Laut kam heraus. Eine Stumme, die ihrem Lord die Stimmgewalt abgetreten hatte. Fast hätte Borenson nicht die Kraft gehabt, seinen Plan durchzuführen.
Ihm war schwindelig, übel. Aber er war ein guter Soldat. Er war immer ein guter Soldat gewesen. Er durfte nicht zulassen, daß das kleine Mädchen sich durch das Gitter des Fallgatters hindurchquetschte und Hilfe herbeirief. Dieses Kind würde sterben, aber sein Opfer konnte Tausenden in Mystarria das Leben retten. Er warf sich auf das Mädchen, riß ihm den Besen aus der Hand. Es versuchte zu schreien, versuchte sich aus seinem Zugriff zu befreien, schnappte nach dem Tisch, stieß in seiner entsetzlichen Angst eine Bank um.
»Tut mir leid!« stieß Borenson grimmig hervor, dann brach er dem Mädchen das Genick. Er wollte nicht, daß es lange litt.
Sachte legte er den Leichnam auf den Boden und hörte in der Vorratskammer ein Stampfen – hinten im Schatten der Lampe.
Dahinten stand noch ein kleines Mädchen, dessen schwarze Augen in der Dunkelheit leuchteten.
Bei all seinen heldenhaften Phantasien an diesem Tag – das hatte er sich nicht träumen lassen – ein unbewachter Bergfried, in dem er Kinder erschlagen mußte.
Und damit begann die grauenvollste Nacht in Borensons Leben.
KAPITEL 8
Eine Zeit für Fragen
Die Pferde galoppierten unter den schwarzen Bäumen durch die Wälder. Binnesman hielt seinen Stab in die Höhe, damit alle bei seinem schwachen Lichtschein sehen konnten. Doch bereits das war offenbar ermüdend, denn der Zauberer wirkte ausgezehrt und alt.
Die Bäume flogen vorbei.
Gaborn brannten
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