Der Kreis aus Stein
als die Klinge auf Knochen traf.
König Orden frohlockte, als er die entsetzliche Wunde sah, beobachtete, wie das Fleisch sich von Raj Ahtens Kehle schälte, sah, wie die Augen des Wolflords sich vor Entsetzen weiteten.
Kaum hatte die Klinge Raj Ahtens Fleisch wieder verlassen, da schloß die Wunde sich bereits wieder nahtlos. Der Mann besaß so viele Gaben des Stoffwechsels, daß man ihn kaum mehr als Menschen betrachten konnte.
Er war die Summe aller Menschen, befürchtete Orden, jenes Geschöpf, das so vielen anderen Leben ausgesaugt hatte, daß die Bezeichnung ›sterblich‹ nicht mehr zutraf. Raj Ahten wurde zu einer Macht, die mit den Elementen oder den Zeitlords wetteiferte.
In den Chroniken wurde davon berichtet. In den Chroniken hieß es, Daylan Hammer habe vor sechzehn Jahrhunderten eine Weile in Mystarria gelebt, bevor er nach Süden ging, um sein Leid dort klaglos zu ertragen. Denn die Unsterblichkeit war ihm zur Last geworden. Daylans Übereigner gingen dahin, er aber konnte nicht sterben, denn er war auf irgendeine Weise verwandelt worden. Die durch die Zwingeisen übertragenen Fähigkeiten blieben ihm für alle Zeit erhalten – ungewollt, wie ein Fluch. Orden verfügte über ein perfektes Erinnerungsvermögen, und jetzt sah er die Worte vor sich, so wie er sie in seiner Jugend beim Studium des Fragments einer uralten, von einem entfernten Vorfahr verfaßten Chronik gelesen hatte: »Weil er seine Mitmenschen zu sehr liebte, mußte Daylan erkennen, daß das Leben zur Last geworden war. Denn Männer, mit denen er Freundschaft schloß, Frauen, die er liebte, blühten auf und starben wie die Rosen einer einzigen Saison, während er allein alle Zeiten ewig überdauerte. Also suchte er jenseits von Inkarra, auf den Inseln von Illienne, die Einsamkeit, und ich vermute, dort lebt er noch immer.«
All dies schoß Orden durch den Kopf, als sein Schwert sich wieder aus Raj Ahtens Hals löste. Dann merkte er, daß er so fest zugeschlagen hatte, daß die Klinge ihm zu entgleiten drohte. Ein Schmerz schoß durch seinen Arm, als er im Versuch es festzuhalten seine Muskeln spannte und an seinen Sehnen riß.
Das Schwert zischte davon und landete in einem Beet aus Farnen auf der Hügelkuppe.
Eine weitere Waffe hatte er nicht. Raj Ahten aber hockte noch immer da, starr vor Entsetzen über die Wucht des Angriffs.
Orden sprang und trat mit aller Kraft nach Raj Ahtens Kopf.
Er trug die mit Stahlkappen versehenen Kriegsstiefel, jeder mit einem schweren Querstück über den Zehen. Der Tritt würde ihm das Bein zertrümmern. Aber er würde auch Raj Ahten den Schädel zerschmettern.
Als Orden zutrat, drehte Raj Ahten sich zur Seite. Ordens Hacke traf Raj Ahten unter den Schulterstücken.
Ein reißender Schmerz schoß ihm durchs Bein, jeder Knochen im Leib wurde zertrümmert und Orden entwich ein Schrei aus der Kehle.
Aber wenn ich mich zerstöre, dann zerstöre ich auch Raj Ahten, überlegte er. Die Schulter des Wolflords gab nach.
Orden spürte, wie die Armknochen des Gegners einer nach dem anderen wie Zweige unter seinem Stiefelabsatz brachen.
Raj Ahten brüllte wie ein Mann, der stirbt.
Orden landete auf seiner Schulter und hockte dort, wie es schien, ein paar Sekunden nach Luft schnappend und fragte sich, was er als nächstes tun sollte. Er wälzte sich vom Wolflord herunter, um nachzusehen, ob der Mann noch lebte.
Zu seiner Überraschung stöhnte Raj Ahten vor Schmerzen und wälzte sich im Gras. Ordens Stiefelabdruck hatte sich in seine Schulter eingeprägt.
Das Schulterblatt war eingebrochen. Der rechte Arme war in einem unnatürlichen Winkel verdreht. Das Fleisch seiner Schulter war sechs Zoll tief eingedrückt.
Raj Ahten lag im Gras, die Augen blind vor Schmerz.
Blutiger Schaum quoll aus seinem Mund. In diesem Augenblick waren die dunklen Augen des Wolflords und sein scharf geschnittenes Gesicht so wunderschön, daß Orden es kaum fassen konnte. Er hatte ihn noch nie von so nah, in all seiner Anmut und Schönheit, gesehen. Der Anblick raubte Orden den Atem.
»Werde mein Diener«, flüsterte der Verletzte voller Inbrunst.
In dieser Sekunde wurde Mendellas Val Orden von Raj Ahtens Anmut hingerissen und wollte ihm von ganzem Herzen dienen.
Dann war die Sekunde vorbei, und er bekam es mit der Angst: denn unter Raj Ahtens Rüstung bewegte sich etwas, die Schulter richtete sich und schwoll an, richtete sich noch einmal, als verschmolzen Jahre der Entzündung, des Heilungsprozesses und der Schmerzen alle
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