Der Kreis der Dämmerung 01 - Das Jahrhundertkind
Moltke, zog seine bis dahin so erfolgreiche Erste und Zweite Armee auf eine Linie hinter Aisne und in die Nordchampagne zurück. Damit begannen sich die Gefechtslinien festzufressen. Schon im November nach Kriegsausbruch waren die Stellungen derart zementiert, dass sie sich seitdem kaum noch verändert hatten.
Als David und seine Kameraden vor Amiens auf ihren ersten Kampfeinsatz warteten, war der glücklose Generaloberst Moltke längst durch Erich von Falkenhayn abgelöst worden. Der neue Chef der Obersten Heeresleitung war höchst unzufrieden über den zermürbenden Stellungskrieg an der Westfront, den ihm, wie er meinte, sein Vorgänger eingebrockt hatte. Nach anderthalb Jahren platzte ihm der Kragen. Er wollte endlich die Entscheidung im Westen. Also begann er im Februar 1916 eine neue Großoffensive gegen das französische Festungszentrum um Verdun. Hier lag für ihn der Schlüssel zu Paris. Hier sollte Frankreich verbluten. Und dann würde von hier aus der Sturmlauf auf das übrige Land erfolgen.
So weit Falkenhayns Träume. Seitdem tobte die Schlacht um Verdun mit unverminderter Heftigkeit. Die Deutschen wollten den Durchbruch mit aller Macht erzwingen. Sie richteten nicht weniger als zwölftausend Kanonen auf einen schmalen Verteidigungsabschnitt. Hunderttausende junger Männer waren bereits auf beiden Seiten der Frontlinie verstümmelt und getötet worden. Wenn überhaupt, dann kehrte von ihnen oft nur der Name nach Hause zurück, eingetragen in die Verlustlisten, die in der Heimat jeden Morgen für neue Tränen und Verzweiflung sorgten.
Wenn auch der deutsche Chef der Obersten Heeresleitung die französischen Forts nicht so schnell pulverisieren konnte, wie er sich das vorgestellt hatte, kam er doch stetig voran. Als David sich am 7. Juni sein Feldbett bei Amiens einrichtete, eroberten die Deutschen gerade Fort Vaux. Nun rückten sie gegen die Höhen von Belleville vor, die letzte Bastion vor Verdun.
FÜNF KILOMETER BIS ZUM SCHLACHTHAUS
So stand es mit Blut auf eine Friedhofsmauer von Verdun geschrieben. David hörte es von einem Kameraden mit seltsam unstetem Blick, den er am zweiten Tag nach seiner Ankunft kennen lernte.
Aufseiten der aus Franzosen und Briten bestehenden Entente hatte sich inzwischen die Idee durchgesetzt, dass sich der deutsche Vormarsch nur durch ein groß angelegtes Ablenkungsmanöver aufhalten ließ. Während die Vorbereitungen hierzu auf Hochtouren liefen, wurden die überwiegend zwangsverpflichteten Rekruten aus England unverhofft ihrem neuen Chef vorgeführt.
Die kurzfristig anberaumte Rede des Oberbefehlshabers aller britischen Truppen in Frankreich war eine Überraschung für jedermann (hauptsächlich natürlich für den gegnerischen Militärgeheimdienst, der eine Schwäche für unvorhergesehene Todesfälle in der alliierten Generalität besaß). Die gute Nachricht wurde vom General bis hinunter zum Corporal gereicht und diese verteilten sie dann an ihre Männer. Wenig später zeigte sich der Feldmarschall seinen jungen Recken auf dem Exerzierplatz, einem konfiszierten Rübenfeld.
Sir Douglas Haig war die Last der Verantwortung überhaupt nicht anzusehen. In aufopferungsvoller Weise feuerte er seine Soldaten an sich tapfer im Kampf zu bewähren. Wie David nicht entging, benutzte er in diesem Zusammenhang mehrmals das Wort »Moral«. Eine solch edle Gesinnung sei man nicht nur dem verbündeten Frankreich schuldig, sondern sie trage auch ungemein zur Mehrung von Ruhm und Ehre bei – in erster Linie für den König und das Vaterland, aber auch für jeden Einzelnen. Dann erläuterte Sir Haig seinen Plan zur Lösung des Verdun-Problems.
»Tötet mehr Deutsche!«
Es war eine verblüffend einfache Strategie. Bald würde sie den Soldaten auch in ihrer praktischen Auswirkung demonstriert werden.
Um dem Vorhaben das nötige Gewicht zu geben, hatte man unter Rawlinson die Vierte Armee aus der Taufe gehoben. Zu ihr gehörten nicht weniger als elf britische Divisionen, die gemeinsam mit den französischen Kameraden die deutschen Kräfte aus Verdun abziehen sollten. Sir Haig überschlug sich beinahe in seinen optimistischen Prognosen, wie groß der Sieg auf alliierter Seite ausfallen und wie schnell sich dieser einstellen werde. Einige seiner Zuhörer waren schlichtweg begeistert.
Ob es in Haigs Taktik nicht ein menschenverachtendes Moment gebe, merkte David später in den Mannschaftsquartieren an. Immerhin werde hier ja von vornherein mit eigenen Verlusten kalkuliert, als
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