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Der Kreis der Dämmerung 01 - Das Jahrhundertkind

Titel: Der Kreis der Dämmerung 01 - Das Jahrhundertkind Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Ralf Isau
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Woche lang.
    Am 14. Juli gelang den Briten ein Vorrücken im südlichen Sektor bei Longueval, Bazentin und Ovillers. Aber wieder versäumten die Alliierten aus ihrem Erfolg Kapital zu schlagen. Der Durchbruch blieb aus, die deutschen Linien geschlossen. So zog sich der Kampf weitere blutige Wochen dahin.
    Bei David hatte sich inzwischen eine Art Resignation eingestellt, was die vorzeitige Beendigung seines Lebens betraf. Er konnte machen, was er wollte, alle feindlichen Projektile mieden ihn. Auch die britischen und französischen. Es kam gar nicht so selten vor, dass bei einem Angriff die Soldaten unter eigenen Beschuss gerieten. Woher sollten die Kanoniere, die ihre Geschütze oft Kilometer hinter der Frontlinie bedienten, auch immer so genau wissen, wer gerade in welchem Graben hockte?
    An einem nebligen Morgen Anfang September hatten sich Nick und David wieder einmal aus den Augen verloren. Allein erreichte David – wie immer von allen gegnerischen Geschossen ignoriert – die vorderste Grabenlinie der Deutschen. Irgendwie hatte er auf dem schwer überschaubaren Schlachtfeld die Orientierung verloren und befand sich mit einem Mal ganz allein im Feindesland. In dem deutschen Schützengraben herrschte Totenstille, im wahrsten Sinne des Wortes. Entsetzt betrachtete er die aufeinander getürmten Leichen. Der feuchte Morgennebel umwaberte die leblosen Körper und narrte David hier und da mit vermeintlichen Bewegungen, die in Wirklichkeit gar keine waren.
    Auch die britischen Waffenschmiede hatten offenbar hin und wieder einen teuflischen Einfall. Die Toten im Graben waren Opfer von Schrapnellgranaten. Das ließ sich für David unschwer erkennen. Die mit Blei gefüllten, nach dem englischen Artillerieoffizier Shrapnel benannten Sprenggeschosse gingen nicht sehr schonend mit dem Gegner um. Jeder Körper, der sich in der Nähe der Explosion befand, wurde schlichtweg zerfetzt. Aber selbst wenn man nur von einzelnen Splittern getroffen wurde, konnte man ohne Sanitäter schnell verbluten. Mit etwas mehr Glück verlor man nur ein Bein oder einen Arm.
    David entdeckte fünfzehn oder zwanzig Meter den Graben hinauf jemanden, der noch lebte. Er kletterte über tote Körper, um den Verletzten zu erreichen, der selbst halb unter seinen gefallenen Kameraden begraben lag. Der junge Deutsche konnte kaum älter sein als David – vielleicht hatte er ja auch, auf der Suche nach dem großen Abenteuer Krieg, sein Geburtsdatum gefälscht.
    Mit flinken Fingern packte David sein Verbandszeug aus. Nach dem ersten Kampfeinsatz hatte er den Inhalt seines Gepäcks entsprechend umgestellt. Seine unwiderstehliche Überredungskraft und seine legendären Rettungsaktionen hatten ihm die Herzen einiger Sanitäter und sogar Feldärzte erschlossen, weshalb es für ihn nicht schwer war, seine medizinische Notausrüstung immer wieder aufzufüllen. Selbst O’Brien, der irische Corporal, der noch lebte, drückte jeden Tag aufs Neue ein Auge zu, um den Schützen, der im Kampf noch nie einen Schuss abgegeben hatte, zu decken. Er wollte sogar, dass David sich in eine Sanitätsstaffel versetzen ließ, aber das war dem »zu wenig gefährlich, Sir«. O’Brien hatte den Kopf geschüttelt und weiter das Auge zugedrückt.
    In den letzten Wochen hatte sich David einiges von den Sanitätern abgeschaut. Deshalb bereitete es ihm keine Mühe, den verletzten Deutschen zu verarzten. Der hatte nur eine Platzwunde am Kopf, nichts Schlimmes. Er war von einer Druckwelle gegen einen Stein in der Grabenwand geschleudert worden und besinnungslos zu Boden gestürzt. Die Schrapnellgranaten mussten erst danach gekommen sein. Irgendwie hatten ihn die Körper seiner toten Kameraden vor dem Schlimmsten bewahrt.
    Während David den Kopfverband anlegte, fiel sein Blick auf das Koppelschloss des Soldaten. »Gott mit uns« stand darauf. Ob Gott sich wirklich durch Gürtelschnallen beeinflussen ließ? Nachdem er sich vergewissert hatte, dass der Kopfverband richtig saß, schaute er dem verschüchterten jungen Mann ins Gesicht und sagte mit einem aufmunternden Lächeln: »Du wirst durchkommen.«
    Die Augen des Verwundeten wurden groß. »Du sprichst ja Deutsch, aber du bist doch ein Tommy!«
    »Spielt das eine Rolle für dich?«
    Der Deutsche sah seinen Retter eine Zeit lang verblüfft an. Dann lächelte er. »Nein, eigentlich nicht. Vielen Dank, Tommy.«
    »Ich heiße David.«
    »Und ich Hermann. Hermann Mielke, um genau zu sein.«
    »War nett, dich kennen zu lernen, Hermann. Ich muss

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