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Der Kreis der Dämmerung 01 - Das Jahrhundertkind

Titel: Der Kreis der Dämmerung 01 - Das Jahrhundertkind Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Ralf Isau
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gewonnen. Erst gegen Ende September besserte sich das Wetter wieder. Zwischen dem zwanzigsten des Monats und dem 4. Oktober gelang es der Infanterie, wenigstens auf die Stellungen vorzurücken, die zuvor von der Artillerie totgesprengt worden waren. Aber nun steckten sie hier fest.
    Tagelang bewegte sich an der Westfront so gut wie gar nichts. Fast konnte man das Bedauern greifen, wenn es einem aus den Zeitungen entgegensprang: Im Westen nichts Neues. Wie gut, dass es in den Theatern wenigstens ein paar neue Premieren gab.
    David und Nick hatten keinen Grund sich zu langweilen. Sie mussten Doppelwachen schieben, waren erschöpft und entnervt. Wenigstens hatte es schon lange nicht mehr geregnet.
    Mit der Trockenheit bei Tage waren auch die Morgennebel zurückgekehrt. Der Herbst rang dem weichenden Sommer jeden Tag ein Stück mehr Land ab – Feldmarschall Haig hätte viel von ihm lernen können. Die Nächte waren schon empfindlich frisch, während es tagsüber bei Sonnenschein noch angenehm warm, manchmal sogar richtig heiß wurde. In dieser Zeit waren die allmorgendlichen Schwertkämpfe gegen unsichtbare Gegner für David eine willkommene Therapie gegen kalte steife Glieder, Sie machten seinen Körper geschmeidig und den Geist klar. Er gab sich keine allzu große Mühe seinen »Tanz im Nebel« zu verbergen, weder vor den eigenen Kameraden noch vor den feindlichen Scharfschützen. Was heimliche Zuschauer nur mit Kopfschütteln, oft auch Unbehagen verfolgten, war für ihn ein Stück Alltagsbewältigung. An einem Mittwoch Anfang Oktober jedoch wurde er selbst zu einem ängstlichen Beobachter.
    Der Morgendunst umwaberte seinen Körper bis hinauf zur Brust. Davids Oberkörper glänzte vom Schweiß. Er wollte seine Finten und Attacken gerade beenden, als er vor sich eine Bewegung bemerkte. David stutzte. Im nächsten Moment waren seine Muskeln wieder hart wie beim Beginn der Schwertübungen. Er duckte sich tiefer in den Nebel und beobachtete ungläubig die Gestalt, die in einer Entfernung von höchstens vierzig Yards an ihm vorüberging.
    Kein Zweifel, da bewegte sich jemand durch das Niemandsland. Um diese Zeit war es hier oben noch verhältnismäßig still. Die Scharfschützen fanden im Nebel noch keine Ziele und die Kanonen schwiegen eh schon seit Tagen. Er hätte eigentlich jeden Näherkommenden schon frühzeitig hören müssen… Aber dieser Schatten bewegte sich völlig lautlos.
    Als der Schemen direkt auf seiner Höhe war, richteten sich Davids Nackenhaare auf. Die hohe dunkle Gestalt, der breitkrempige Hut – er kannte diese Person. Mehr noch als die Aufzeichnungen seines Vaters hatte ihn seine eigene Begegnung mit diesem Schemen das Fürchten gelehrt. Was wollte Negromanus hier?
    David wagte kaum zu atmen. Nur sein Kopf folgte der schattenhaften Gestalt, die durch den Nebel trieb, als stünde sie auf einer Flussbarke. Erst als der graue Dunst das Bild des Negromanus in sich aufgesogen hatte, erwachte David aus seiner angstvollen Starre. Was war das? Viel’ leicht ein Traum? War es nur eine unheilvolle Vision, ein Trugspiel seiner gemarterten Sinne? Dieser Schatten konnte ihm doch unmöglich bis hierher gefolgt sein. Es gab keinen David Viscount of Camden mehr. Nur den einfachen Schützen Milton. Oder ging die rechte Hand Lord Belials an diesem Ort anderen Geschäften nach, weiteren bösartigen Machenschaften zur Erfüllung des Jahrhundertplans?
    Am Nachmittag desselben Mittwochs dösten David und Nick in der Sonne. Es war ausgesprochen ruhig an diesem Tag. Die feindlichen Stellungen lagen nicht einmal zweihundert Yards vor ihnen, aber bis auf ein paar übereifrige Scharfschützen genoss man auch dort die Kampfpause. Nun ist Schlafen während der Wache eigentlich ein Widerspruch in sich. Es gehörte zu den schlimmsten Pflichtverletzungen eines Soldaten. Andererseits war dies noch die harmloseste Art der Meuterei. Die wochenlangen Strapazen forderten in diesem beinahe friedlichen Moment einfach ihren Tribut und so mancher Captain wusste das.
    Die Müdigkeit übermannte die beiden Freunde in beinahe heiterer Stimmung. Sie hatten sich von ihren Zukunftsplänen erzählt. Es war ein Spiel, eine willkommene Ablenkung. Vor allem David wollte sehnlichst die düsteren Gedanken vertreiben, die ihn seit seiner unheimlichen Begegnung im Morgennebel bedrückten.
    Nick hatte beschlossen Farmer zu werden. Notfalls würde er dazu sogar seinen Adelstitel ablegen. Während er auf den Traumwolken schwebte, sah er seine Zukunft

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