Der Kreis der Dämmerung 01 - Das Jahrhundertkind
sie eine nur sehr untergeordnete Rolle. Schon seit Monaten hatten die Amerikaner ihre europäischen Verbündeten mit Kriegsmaterial, Lebensmitteln und Krediten versorgt, aber bis die ersten Truppen kämen, würde noch einige Zeit ins Land streichen.
Ihre Einheit gehörte zu General Sir Herbert Plumers Zweiter Armee. Noch immer dokterte Sir Douglas Haig an seinen strategischen Überlegungen herum, die sich für ihn allmählich zu einer Quadratur des Kreises auswuchsen. In Flandern sollte ihm nun das Unmögliche gelingen: ein kriegsentscheidender Sieg. So lautete seine Vorstellung, die sich für die beiden Westminster-Schüler zunächst in neuen Bahnfahrten und Gewaltmärschen manifestiert hatte. Nach der Ankunft wurden sie fürs Erste in einen Abschnitt nördlich von Armentieres verlegt. Hier hatten sich die Generäle für die Deutschen eine ganz besondere Überraschung ausgedacht. Der geniale Plan rieselte von der Obersten Heeresleitung über ein ausgeklügeltes Stufensystem von Befehlsempfängern bis hinab zum »Stoppelhopser«, wie manche den gemeinen Soldaten despektierlich nannten. Für die Schützen David Milton und Nicolas J. Seymour, ganz am Ende der Befehlskette, nahm General Plumers Plan die Gestalt von Spaten an.
Mit solchen Werkzeugen bewaffnet, fanden sie sich unversehens in der Rolle von Maulwürfen wieder. Ganze neunzehn Röhren wurden in den Messines-Grat getrieben, direkt unter die deutschen Stellungen. Als die Tunnel endlich fertig waren, verstopfte man sie mit besonders großen Minen. Das war wirklich einmal etwas Neues! Keine von Mörsern verschossene Einladungen im Vorfeld. Nicht der geringste Hinweis an den Feind, dass man ihn anzugreifen gedachte. Die Schlacht am 7. Juni begann für die Deutschen einfach mit einem lauten Rums! Direkt unter ihren Füßen.
Die Überraschung war gelungen. Die Briten hatten in den feindlichen Stellungen ein solches Durcheinander angerichtet, dass sie zunächst tatsächlich Erfolge errangen. Die Maulwürfe David und Nick erstürmten innerhalb kurzer Zeit den begehrten Grat.
Weil das Land ringsum so flach war, hatte es David hier besonders schwer, sein mangelndes Interesse am Abschlachten von Mitmenschen zu verbergen. Wenn immer möglich, drückte er sich in Gräben herum oder verdeckte Nick die Sicht – weniger, um ihn beim Zielen zu behindern, als vielmehr wegen der entgegenkommenden Projektile, die er seinem Freund ersparen wollte.
Douglas Haig freute sich über den Erfolg wie ein Schneekönig. General Sir Hubert Gough, der die Vierte Armee befehligte, empfahl dem Feldmarschall nun ein schrittweises Ausdehnen der Offensive, aber Haig sympathisierte mehr mit dem Vorschlag seines Kollegen Plumer, der da lautete: »Wir gehen alle raus.« Mit einem massiven Frontalangriff wollte er den schnellen Durchbruch erreichen. Ungünstigerweise hatte Haig jene Stimmen ignoriert, die ihm prophezeiten, dass sich mit dem Beginn des Augustregens das flandrische Land in einen einzigen Sumpf verwandeln würde.
Während noch die Wolke des Enthusiasmus die Befehlsstände vernebelte, trafen aus der Heimat beunruhigende Nachrichten ein. Am 13. Juni hatten mehr als ein Dutzend deutsche Bomber den Luftraum über London erreicht und weit über einhundert hochexplosive Bomben abgeworfen. David konnte sich vorstellen, wie die Menschen sich dort fühlten. Er erinnerte sich noch sehr gut an die Angst, die 1915 in London nach dem Angriff eines einzelnen Zeppelins umgegangen war.
Feldmarschall Haig ließ sich von solchen Nebensächlichkeiten nicht ablenken. Wie viele Menschen, so war auch er ein Sklave lieb gewonnener Gewohnheiten. Daher begann er seinen nächsten Angriff auch diesmal wieder mit einem – jetzt sogar vierzehntägigen – Artilleriebombardement der deutschen Stellungen. Aus dreitausend Kanonen deckte er den Feind mit viereinhalb Millionen Granaten ein. Selbst der dümmste deutsche Gefreite hätte in dieser Zeit a) bemerkt, dass die Engländer da irgendetwas im Schilde führten, und sich b) dagegen gewappnet.
Das Überraschungsmoment war also nicht ganz gelungen, als David, Nick und tausende andere Kameraden am 31. Juli auf die deutschen Stellungen bei Ypres zustürmten. Nur am linken Flügel konnten die Briten ihre Ziele erreichen, auf der entscheidenden rechten Seite war die Attacke ein Fehlschlag. Schon nach vier Tagen war der Boden eine Schlammwüste – Haig hätte auf seine Propheten hören sollen.
Zwei Wochen später versuchte man es noch einmal. Es wurde kaum Boden
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