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Der Kreis der Dämmerung 01 - Das Jahrhundertkind

Titel: Der Kreis der Dämmerung 01 - Das Jahrhundertkind Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Ralf Isau
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hatte Lieutenant Hastings aus dem Mund eines Mordverdächtigen eine so absurde Bitte gehört. Nach unendlich langer Zeit holte er endlich tief Luft und sagte: »Lieutenant Barepitch und ich treffen uns manchmal auf ein Bier im Victoria’s Arms. Ich denke, wir könnten ein Treffen arrangieren.«
    David stieß hörbar die Luft aus. »Ich danke Ihnen, Lieutenant.«
    Noch immer war Hastings’ Gesicht eine steinerne Maske. »Heben Sie sich das besser für den Moment nach dem Verhör auf, junger Mann. Sie…« Ein Klopfen an der Tür ließ den Beamten innehalten. »Ja?«
    Die Tür zu seinem Büro öffnete sich einen Spaltbreit, ein bebrilltes Gesicht schob sich herein und sagte: »Lieutenant Dean fragt, ob er Sie für einen Moment sprechen kann, Sir. Es sei sehr wichtig.«
    Hastings sah erst David an, dann wieder den Kollegen. Schließlich erhob er sich von seinem Sessel und sagte: »Bleiben Sie vor der Tür, damit uns dieser junge Mann nicht abhanden kommt.«
    »Zu Befehl, Sir!«
    Lieutenant Hastings blickte noch einmal, um Entschuldigung heischend, zu David hin. »Er war nicht zufällig in derselben Einheit wie Sie?«
    Der Anflug von Humor überraschte David. Er sah sich das Gesicht in der Tür an und schüttelte den Kopf. »Nicht, dass ich wüsste.«
    »Na ja, macht nichts. Ich bin gleich wieder zurück.«
    Während David allein in dem Büro wartete, schossen ihm tausend Gedanken durch den Kopf. Die letzte Szene hatte ihn etwas hoffnungsvoller gestimmt. Hastings gehörte zwar zur Gattung der Staatsdiener, aber vielleicht war er trotzdem zu menschlichen Regungen fähig.
    Nach kurzer Zeit wurde hinter Davids Rücken die Tür aufgerissen. Erschrocken fuhr er herum und erblickte Lieutenant Hastings sowie dahinter noch einen anderen Mann, den er bisher noch nicht gesehen hatte.
    »Sagt Ihnen der Name Alfred Charles William Harmsworth Northcliffe etwas?«
    »Ich müsste auf dem Mond leben, wenn nicht«, antwortete David ausweichend. An seinem Nacken sträubten sich die Haare.
    »Sir Northcliffe ist heute unter ungeklärten Umständen gestorben.«
    David vermochte sich recht farbig auszumalen, wie Charly reagieren würde, wenn man ihm zu Beginn des neuen akademischen Jahres erzählte, sein Zimmergenosse säße in Untersuchungshaft. Er würde nicken wie jemand, der sagen wollte: Habe ich doch schon immer gewusst. Dann würde er fragen: Was hat er denn gestohlen? Die Antwort: zwei Menschenleben. Ein weiteres Nicken von Charly würde die Sache beschließen: Armer David, warum ist er nicht gleich da unten geblieben, wo er hingehört.
    Von dem heimtückischen Verbrechen bis zum Verhör vergingen achtundvierzig Stunden. David hatte noch nie vorher in einer Gefängniszelle gesessen – eine Erfahrung, die er bisher in keiner Weise vermisst hatte.
    Zu seiner Verwunderung wurde er am Mittwoch, dem 16. August, nicht in irgendeines der gewiss zahlreichen Verhörzimmer in New Scotland Yard geführt, sondern Lieutenant Hastings lud ihn in eine geräumige Limousine, die ein namenloser Beamter nach South Kensington lenkte. An der gleichnamigen Undergroundstation gabelte das Polizeifahrzeug Balu und Elsa auf. Lieutenant Hastings begrüßte die beiden freundlich, dankte ihnen für ihr pünktliches Erscheinen am verabredeten Treffpunkt und bedeutete ihnen zu schweigen.
    Auf der Weiterfahrt konfrontierte der Scotland-Yard-Beamte seinen Verdächtigen mit den neuesten Untersuchungsergebnissen im Fall Northcliffe. Der Eigentümer der Londoner Times war, ebenso wie Sir Rifkind, in seinem Arbeitszimmer aufgefunden worden, habe aber nicht dessen Rückenverkrümmung aufgewiesen. Nach der ersten Untersuchung Northcliffes sprach der Arzt von einem Herzversagen. Lieutenant Hastings zweifelte daran – der Verblichene sei gerade erst siebenundfünfzig gewesen.
    Der Zeitungsmagnat war für David nie der väterliche Freund gewesen wie Sir William. Vater hatte den drei Jahre älteren Northcliffe während des Studiums kennen gelernt. Es klang daher wenig sentimental, als David bemerkte: »Angeblich hat der Baron es nicht verwinden können, dass Lloyd George sich nicht von ihm die Zusammensetzung des Kabinetts diktieren ließ. Manche behaupten sogar, Sir Northcliffes unbefriedigter Größenwahn hätte ihn aufgezehrt. Ich habe hin und wieder für ihn gearbeitet und weiß, dass er in letzter Zeit sogar einen Zusammenbruch hatte.«
    »Das ist Scotland Yard natürlich auch bekannt«, antwortete Hastings. Sein Kopf schaukelte vor und zurück, als der Wagen über

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