Der Kreis der Dämmerung 01 - Das Jahrhundertkind
ertönten Stimmen, aber David wollte nicht warten, bis Hilfe kam. Er drehte sich um und rannte zur Haupttreppe zurück, den kürzesten Weg zu seiner Frau.
Unterwegs beschlich ihn ein bedrückender Gedanke. Konnte es sein, dass sich Negromanus durch einen Nebeneingang in den Ballsaal geschlichen hatte und von dort zurück ins Schloss? David hatte sich in Sicherheit gewiegt, weil der große Aufgang im Cumming Tower durch die offene Flurtür des Terrassenzimmers gut zu überwachen war. Aber was, wenn der Schemen die schmale Wendeltreppe daneben genommen hatte?
Dann wäre er genau in diesem Augenblick bereits oben im zweiten Stock. Bei Rebekka!
Diese Vorstellung versetzte David einen Schock. Unwillkürlich strauchelte er und hätte sich beim Abfangen des Sturzes fast mit dem eigenen Schwert verletzt. Er rappelte sich wieder auf und rannte weiter die Treppe empor.
Besaß Negromanus wirklich die Kaltblütigkeit, um auf diese Weise seine Niederlage doch noch in einen Triumph zu verwandeln? Nein, das durfte nicht sein. Das konnte nicht sein! Himmelblaues Blut schoss an Davids innerem Auge vorbei und machte seine selbst eingeredete Zuversicht zunichte.
»Bekka!«, schrie er aus vollem Hals und nahm die letzten Stufen nach oben mit weiten Sprüngen. Er riss den Eingang zum großen Salon auf und war wenige Augenblicke später bei Rebekkas Versteck. Die Tür zum Turmgemach war verschlossen. Hoffentlich war das ein gutes Zeichen! Er hämmerte dagegen.
»Bekka! Schatz! Ich bin’s, David. Schnell, öffne die Tür.«
Er lauschte in den Raum, konnte aber nichts hören. Nicht das Geringste. Nein!, schrie sein Geist, während er sich die Unterlippe zerbiss. Nicht Rebekka! Nicht sie! »Bekka, nun öffne doch, bitte!«
Mit einem Mal ertönte eine gedämpfte Stimme: »David?«
Dem wurden die Knie weich. Vor Erleichterung. »Ja! Ich bin es, Schatz. Ich glaube, ich habe den Urian vertrieben.«
Er hörte, wie hinter der Tür ein Lichtschalter betätigt wurde und sich dann der Schlüssel im Schloss drehte. Ungeduldig zog er die Tür auf. Rebekka – immer noch im Laken eingewickelt – blickte ängstlich auf das blutverklebte Schwert, dann in Davids Augen. »Ist er wirklich fort?«
David nahm sie in den Arm, drückte sie und verteilte unzählige Küsse auf ihr Haar und ihr Gesicht. »Ja, jetzt fühle ich, dass wir ihm entkommen sind.«
»Woher willst du das so genau wissen?«
»Ich habe gespürt, als er sich uns näherte. Vielleicht hängt es mit meinen sonderbaren Begabungen zusammen. Es ging eine Bedrohung von ihm aus, die ich jetzt nicht mehr wahrnehmen kann.« Er löste sich vorsichtig von ihr, um – mit einem Mal sehr ernst – in ihre dunklen Augen zu blicken. »Für heute bist du sicher, meine Liebste. Aber ich glaube, wir müssen uns etwas ausdenken, damit es auch dabei bleibt.«
Emigriert
Erst gingen die Lichter an. Dann näherten sich Schritte. Davids Geschrei hatte zuletzt doch die Schlosswache alarmiert. Ein Hochländer in normaler Uniform (also nicht im Kilt) stürmte die Haupttreppe hinauf und fiel mit gezückter Pistole in den Salon ein. Als er im Dämmerlicht das ineinander verschlungene Paar entdeckte, prallte er zurück. Ein zweiter Wachtposten, ebenfalls von dem Lärm herbeigerufen, betätigte den Lichtschalter. Amüsiert beobachtete dieser, wie sein Kollege rot wurde und verlegen ins grelle Licht blinzelte, während die jungen Brautleute sich langsam und widerwillig voneinander lösten.
Der erste Wachmann räusperte sich. Rebekkas altrömische Toga schien ihn mindestens ebenso zu verwirren wie das fleckige Schwert in Davids Hand. »Verzeihung, Sir, aber haben Sie auch eben diese Schreie gehört?«
Zwei weitere Wachleute erstürmten den Raum und schienen beim Anblick von Rebekkas anmutiger Gestalt sogleich zu versteinern.
David ließ sich davon nicht beirren und antwortete: »Das kann man wohl sagen. Die Schreie kamen von mir, Colonel…«
»MacRhynie, Sir. Verzeihung, ich habe vergessen mich vorzustellen. Warum haben Sie gerufen? Was ist geschehen?«
»Jemand ist in das Schloss eingedrungen. Ich habe ihm eine Hand abgehackt und ihn dann fortgejagt.«
Rebekka stieß ein japsendes Geräusch aus.
»Sie haben was, Sir?«
»Colonel MacRhynie, ich werde gerne jede Ihrer Fragen beantworten, aber Sie haben sicher Verständnis dafür, wenn ich meine Frau zunächst in unsere Gemächer zurückbringen möchte. Sie ist ziemlich verängstigt und außerdem für eine solche Unterredung nicht ganz
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