Der Kreis der Dämmerung 01 - Das Jahrhundertkind
David?«
»Wir suchen eine entlaufene Hand«, antwortete dieser knapp.
»Wie bitte?«
»Ich bin gerade eben Ihrem Schlossgespenst über den Weg gelaufen.«
»Hat er einen Schock erlitten?«, erkundigte sich der Herzog bei seinem Colonel.
Der zuckte mit den Schultern. »Abgesehen von seiner abenteuerlichen Geschichte kam er mir bis jetzt ganz normal vor.«
Allmählich wurde der Herzog ungeduldig. Seine Stimme hatte einen merklich schärferen Ton, als er sagte: »Würde mir vielleicht einmal irgendjemand verraten, was hier eigentlich passiert ist?«
David zeigte dem Herzog die schmutzige Klinge des katana. Erst in diesem Moment wurde ihm bewusst, dass man dem getrockneten Blut nicht mehr ansehen konnte, welche außergewöhnliche Farbe es einmal besessen hatte. Es sah schwarzgrau aus. Ebenso die Flecken auf dem Fußboden. Man hätte glauben können, sie seien schon einhundert Jahre alt. Aber immerhin existierten sie.
»Wie Sie sehen, John, war es mehr als ein Alptraum, der mich heute Nacht aufgeschreckt hat. Ich bin zwar fest überzeugt, einer Person mit meinem Schwert die Hand abgesäbelt zu haben, aber selbst wenn ich mich darin täuschen sollte, spricht all das Blut hier doch wohl für sich. Es hat einen Kampf gegeben. Dabei wurde jemand ernstlich verletzt. Und dieser Jemand« – David drehte sich mit erhobenen Armen einmal um seine Achse, was die Unversehrtheit seines Körpers zweifelsfrei belegte – »bin nicht ich gewesen.«
Der Herzog kniff das rechte Auge zusammen und musterte seinen Ehrengast eindringlich. David begann sich schon unwohl zu fühlen, als John Stewart-Murray sagte: »Verschweigen Sie mir etwas, David?«
Dem Gefragten wurde mit einem Mal heiß. »Wie kommen Sie darauf, John?«
Der Herzog blickte mit ernster Miene zu dem Offizier der Leibwache. »Colonel MacRhynie, würden Sie uns bitte einen Augenblick allein lassen?«
Der Hochländer salutierte und verschwand im Treppenturm nach oben. Als er außer Hörweite war, wandte sich der Schlossherr wieder an seinen Gast.
»So, David, jetzt einmal ganz offen: Wie du weißt, hat mir Hirohito angedeutet, dass du ein Spross aus einer angesehenen Adelsfamilie bist. Trotzdem reist du als der Times-Schreiber Mr Newton durch die Lande. Wenn ich auf meine Mitmenschen auch manchmal einen etwas vertrottelten Eindruck mache, so bin ich doch nicht dumm, mein Junge. Dein Versteckspiel muss ernste Gründe haben. Wenn ich in Betracht ziehe, dass der japanische Prinzregent dir die Stange hält, dann können diese nur ehrenhaft sein. Aber welcher Bräutigam läuft schon in seiner Hochzeitsnacht mit einem Schwert durch die Gegend und hackt anderen Leuten Gliedmaßen ab? Für dich war dieser ›Einbrecher‹, den du ertappt hast, nicht irgendwer. Du hast dich persönlich – und auch Rebekka – von ihm bedroht gefühlt und dich verteidigt. Erzähl mir nicht, das sei nicht wahr! Wer war also dieser Strolch, der es wagte, meine Gastfreundschaft in den Schmutz zu ziehen?«
David konnte dem bohrenden Blick des Herzogs nur mit Mühe standhalten. Er fühlte sich wieder einmal durchschaut, so wie zuletzt bei Lieutenant Hastings. Sein Gefühl sagte ihm, er könne dem Herzog vertrauen, aber es warnte ihn auch vor den möglichen Konsequenzen – zu viele Freunde hatten schon seinetwegen sterben müssen.
Der Herzog war es gewohnt, sich Herausforderungen zu stellen, anstatt sie totzuschweigen. Deshalb blieb er hartnäckig. »David, mir geht es nicht darum, dir irgendwelche Familiengeheimnisse zu entlocken. Ich merke, dass du in ziemlichen Schwierigkeiten steckst, und ich will dir helfen!«
Unsicher blickte David in das entschlossene Gesicht des Herzogs. Unter seinen buschigen Augenbrauen brannte ein wildes Feuer. In einem letzten schwachen Versuch, sein Geheimnis zu wahren, erwiderte er: »Wenn ich Sie zu einem Mitwisser mache, dann könnten auch Sie gefährdet sein. Möglicherweise sogar Katherine. Mit diesem finsteren Gesellen ist nicht zu spaßen. Er hat schon viele Menschenleben auf dem Gewissen.«
Die Augen des Herzogs musterten David eindringlich. Während er nachdachte, mahlten seine Kiefer aufeinander. Schließlich sagte er mit fester Stimme: »Katherine und ich haben schon mehr als ein halbes Jahrhundert gelebt. Wir hatten eine schöne Zeit. Nicht dass mir besonders viel daran gelegen wäre, aber wenn wir morgen von dieser Welt abberufen werden, dann soll es eben so sein. Ich werde meine Ehre nicht der Furcht vor einem ominösen Meuchler opfern. Du kennst
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