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Der Kreis der Dämmerung 01 - Das Jahrhundertkind

Titel: Der Kreis der Dämmerung 01 - Das Jahrhundertkind Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Ralf Isau
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sein sechster Sinn: Die Tür würde sich öffnen und er würde sich von Angesicht zu Angesicht dem Schemen gegenübersehen und…
    Genau so traf es ein. Langsam kam ihm die Tür entgegen, fahles Licht schwappte in den Treppenturm. Das Erste, was David von Negromanus sah, war dessen schwarze Hand am Türgriff; Eine kalte Welle des Schreckens brandete durch David hindurch. Obwohl sein Verstand Nein! schrie, konnten seine angespannten Muskeln nicht länger warten. Die sehnigen Arme des Schwertkämpfers fuhren nach unten. David spürte den dumpfen Widerstand, als sein katana durch Haut, Muskeln, Sehnen und Knochen schnitt. Doch seiner von Furcht und Sorge gespeisten Kraft konnte selbst ein Wesen wie Negromanus nichts entgegensetzen.
    Ein greller, durch Mark und Bein gehender Schrei zerriss die Stille im Turm. Es war nicht nur der Schmerz, der diesem Laut Substanz gab. Mit der gleichen Sicherheit, die David schon so oft verspürt hatte, wenn er die Empfindungen anderer auslotete, wusste er jetzt, dass Negromanus überrascht war. Ja, sogar schockiert. Und das nicht etwa infolge des Hinterhalts, sondern ganz allein wegen des Angreifers. Für die Dauer eines Herzschlages starrten phosphoreszierende Augen auf den wilden Schwertkämpfer. Ein lähmender Schauer lief David über den Rücken, als er gewahr wurde, dass Negromanus auf den rubingeschmückten Siegelring an seiner Halskette blickte. Zweifellos wurde auch dem Schemen in diesem Augenblick klar, wen er da vor sich hatte.
    Die Gesichter von Vater, Mutter, Onkel Francis und so vielen anderen, die Negromanus schon getötet hatte, tauchten unvermittelt vor Davids innerem Auge auf Sie schienen ihm zuzurufen: Da steht unser Mörder, David. Jetzt hast du die Gelegenheit unseren Tod zu rächen. Schlag zu!
    Ihre nur für ihn hörbaren Stimmen zersprengten die Fesseln der Angst. David stieß einen wild entschlossenen Kampfschrei aus, wie er es dereinst von Meister Yoneda gelernt hatte, und ließ das Schwert durch die Luft sausen. Aber die rasiermesserscharfe Klinge des katana traf nur noch die Stelle, an der sich gerade eben noch Negromanus’ Hals befunden hatte.
    Der Schatten selbst war unter dem Hieb weggetaucht und huschte nun wie ein Rabe im Sturzflug den Treppenturm hinab. David setzte ihm nach. Er schrie noch immer, aber nun eher vor Wut. Warum hatte er nur so lange gezögert? Einen Wimpernschlag früher und er hätte diesen skrupellosen Mörder seiner gerechten Strafe zugeführt. Und was noch viel wichtiger war: Der Kreis der Dämmerung hätte einen empfindlichen Schlag erlitten, vielleicht sogar den Todesstoß…
    Unten wurde eine Tür aufgerissen. Als David sie erreichte, blickte er in den schnurgeraden Flur des Erdgeschosses. Der Gang war schwach beleuchtet. Zu seiner Rechten, bereits auf Höhe der Haupttreppe, entdeckte David einen schwarzen wallenden Umhang. Als Negromanus nach links in das Terrassenzimmer stürmte, konnte David noch für die Dauer eines Wimpernschlages den Armstumpf erkennen. Er musste würgen, als er die Farbe des herauslaufenden Blutes sah. Es war hellblau.
    Mit einem neuen Kampfschrei setzte er dem Schemen nach. Als er das Terrassenzimmer erreichte, blickte er durch zwei offen stehende Türen in den nächtlichen Park hinaus. Er hütete sich davor, Hals über Kopf in den Raum zu stürzen. Vielleicht war Negromanus gar nicht hinausgeflohen, sondern lauerte ihm da drinnen irgendwo auf. Aber dann bemerkte er das Glitzern in den feuchten Blutspuren draußen auf dem Treppenabsatz, fasste sich ein Herz und betrat vorsichtig das Zimmer.
    Abgesehen von einer nicht näher bestimmbaren Anzahl von Pistolen und anderen Feuerwaffen an den Wänden war der Raum leer.
    David lief weiter zum Ausgang hin. Wachsam, jeden Moment mit einem Angriff rechnend, wagte er sich hinaus auf die Treppe. Zu seiner Rechten lag der Ballsaal, der jetzt ebenso friedlich wirkte wie der Exerzierplatz und der Park. Nicht einmal die fernen Schatten der Bäume bewegten sich mehr.
    Schwer atmend gab David die Verfolgung auf. Mond und Nachtbeleuchtung zeigten ihm zwar eine feucht schimmernde Fährte am Boden, aber es wäre viel zu gefährlich gewesen, sich jetzt in den Park zu wagen. Dort draußen gab es einfach zu viele Schlupfwinkel und Hinterhalte. Es hatte keinen Zweck, sich dem Risiko auszusetzen doch noch in Negromanus’ Fänge zu geraten. Außerdem – Rebekka war allein!
    Vermutlich würde sie, verlassen in dem dunklen Turmzimmer, Todesängste ausstehen. Aus dem Hintergrund

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