Der Kreis der Dämmerung 01 - Das Jahrhundertkind
null Einwanderern. Da man die Chinesen schon durch ein älteres Gesetz aus dem gelobten Land ausgesperrt hatte, nahmen die Japaner die neue Verordnung persönlich.
Wie im Tennis, so basierte auch im »Patriotismusspiel« alles auf dem Prinzip des Zurückschiagens. Folgerichtig verschlechterte sich auch in Japan die Stimmung gegenüber Ausländern von Monat zu Monat. Dennoch waren die traditionell freundlichen Menschen gegen die in ihrem Land lebenden Gäste noch nicht in einem Maße aufgebracht, das bedrohlich anmutete.
Der Schwarze Drache setzte sich besonders hingebungsvoll für Japans »Reinheit« ein. Er war gegen »Modernismus« und Frauenemanzipation, gegen Jazz und andere Ausdrucksformen der westlichen Gesellschaft, eben gegen alle neuen Gedanken, ausgenommen den Fremdenhass. Ohne selbst in Erscheinung zu treten, manipulierte Mitsuru Toyama die Menschen wie ein Puppenspieler seine Marionetten.
Wie in westlichen Städten auch, konnte man im Tokyoter Geschäftsviertel Ginza junge Damen mit Bubikopf herumlaufen sehen, nur dass sie dazu hier einen Kimono trugen. Andere waren noch progressiver und kleideten sich mit Bluse und Jackenkleid. Sie waren als mogas, modern girls, verschrien. Das Gegenstück zu diesen »modernen Mädchen« stellten die, man kann sich’s denken, »modernen Jungen« dar, die mobas. Für Toyamas Gefolgsleute gehörte die ganze Brut abgeschafft.
Das Zweiergespann aus Nationalismus und Militarismus förderte als Kontrapunkt zu den zersetzenden Elementen des Westens alte japanische Tugenden. Dazu gehörten Tapferkeit, Disziplin, absolute Ergebenheit gegenüber dem Gottkaiser und das Baden in eiskalten Gebirgsbächen.
Letzteres wurde dem Kaiser gleich scharenweise vorgeführt. Junge Männer, deren Bekleidung im Wesentlichen aus einem weißen Stirnband bestand, sprangen in die frostigen Fluten und ließen sich von ihren Führern – gelegentlich auch von deren Gemahlinnen – bewundern. Einer derartigen Kaltblütigkeit hatte der Westen nichts entgegenzusetzen.
Kein Wunder, dass der Leitgedanke des hakko ichi u in den Köpfen immer weiter um sich griff. »Die acht Ecken der Welt unter einem Dach« – das war das Fernziel. Es versteht sich von selbst, dass dies nur ein japanisches Dach sein konnte.
Noch aus seinen Kindertagen wusste David, wie groß die Opferbereitschaft der Japaner war. Manche rissen sich förmlich darum, ihr Leben dem Kaiser hinzugeben. Ihn zu enttäuschen war eine Untat, für die es nur eine Sühne gab. Mit Betroffenheit las David eine Zeitungsmeldung, die von einem jungen Leutnant berichtete, der sich beim Verlesen eines kaiserlichen Erlasses vor seinen Männern verhaspelt hatte. Alle wussten, es gab nur einen Ausweg für ihn, um sein giri, seine »Ehre«, zu retten: Er stürzte sich umgehend in sein Schwert.
In Taten wie dieser kam eine Lebensauffassung zum Ausdruck, ohne die es nicht möglich war, die Welt unter das japanische Dach zu quetschen. Man musste den jungen Soldaten nur sagen, ein Befehl stamme vom Tenno (auch wenn das gar nicht stimmte), sie würden ihn befolgen, gleichgültig wie unsinnig er war. Selbst wenn jemand auf die Idee käme ihnen einzureden, sie könnten den Göttlichen Sturm kamikaze imitieren, indem sie sich samt Flugzeug auf ein feindliches Schiff stürzten, sie würden es tun.
Leider waren sich nicht alle über diese Wesensart im Klaren, weshalb ein dummer amerikanischer Journalist, dessen Name an dieser Stelle ungenannt bleiben soll, die Söhne Nippons als »polierte Barbaren« hinstellte. Damit lieferte er Toyama und Konsorten die Munition, um jene Freunde, die nach dem großen Erdbeben des Jahres 1923 noch so großzügige Hilfe geleistet hatten, als Feinde des japanischen Volkes zu diffamieren.
Am Ende konnten sich nur noch Rivalen gegenüberstehen. Für David war klar, was eine solche Entwicklung bedeuten musste. Aber wie sollte er sie aufhalten? Mitsuru Toyama blieb wie vom Erdboden verschluckt.
Fieberhaft begann David erneut die internationale Presse nach anderen Hinweisen auf den Kreis der Dämmerung zu durchsuchen. In Washington, D. C, hatte es im August ‘25 die erste »nationale Tagung« des Ku-Klux-Klans gegeben. Der Klan war bekannt dafür, dass er gegen religiöse und rassische Minderheiten kämpfte, gegen Juden und Katholiken, Schwarze und Ausländer. Hin und wieder wurde auch jemand gelyncht. Der Klan nannte sich zwar Geheimorden, aber wenn man in Betracht zog, dass sich zu Füßen des Capitols zweihunderttausend Anhänger
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