Der Kreis der Dämmerung 01 - Das Jahrhundertkind
starb.
Das Ereignis kam nicht völlig überraschend. Über mehrere Monate hinweg waren dem Kaiser die Kräfte geschwunden, wie Lebenswasser, das man vergeblich in den Händen zu halten versucht. Nur dass er ausgerechnet am 25. Dezember ableben musste!
Als Jüdin feierte Rebekka kein Weihnachten. Und weil David die scheinheilige Verlogenheit ablehnte, die vielerorts mit dem »Fest der Liebe und des Friedens« einherging, sorgte ihre abstinente Haltung in der Ehegemeinschaft auch nie für Konfliktstoff Das vorwiegend shintoistische Japan verehrte so viele Ahnen, dass es keinen Sinn machte, den Geburtstag eines einzelnen Menschen hervorzuheben. In aller Regel habe ein Neugeborener ja ohnehin noch nichts geleistet, das zu Lobeshymnen Anlass gäbe, meinten nicht wenige. Deshalb fiel der Tod des Mikado in Japan auf einen ganz gewöhnlichen Arbeitstag.
Für David bedeutete das Ableben des Tenno gleichwohl mehr als Arbeit. Er konnte sich in etwa vorstellen, was im Augenblick in seinem Freund Hito vorging. Er würde keine Miene verziehen, aber Yoshihito war sein Vater gewesen und er würde trotzdem trauern. Nicht allzu sehr vielleicht, denn er hatte ebenso wie viele Höflinge unter den exzentrischen Anfällen Yoshihitos gelitten. Im Stillen mochte so mancher Untertan aufatmen, dass der zuletzt doch unübersehbar schwachsinnige Tenno sich endlich auf den Weg zu seinen Ahnen gemacht hatte. Die Japaner besaßen zwar die Neigung den Tod ihrer Herrscher zu beklagen, aber über Hitos Vater vergoss kaum jemand eine Träne. Ein publizistischer Kollege Davids schrieb über den Verblichenen: »Sein ganzes Leben hindurch war der Tenno wenig mehr als eine Null gewesen, ein Schattenkaiser, der von den Männern hinter dem Thron gegängelt wurde, ein Mann, der nicht nur verrückt war, sondern auch keinerlei Macht besaß.«
Würde sich das bei Hirohito ändern? Diese Frage stellte sich nicht nur David, als er seinen Bericht über die Trauerfeierlichkeiten verfasste. »Wenn ein Kaiser aus dem irdischen Leben geschieden ist«, informierte der Hof die internationale Presse, »besteigt sein Nachfolger unmittelbar danach den Thron, denn der erhabene Stuhl darf keinen einzigen Tag leer stehen.« Damit war Hirohito nicht nur dem Titel nach, sondern auch de facto der neue Mikado. Obgleich die feierliche Inthronisierung erst nach einer angemessenen Trauerzeit erfolgen würde, fand unverzüglich ein kleiner Festakt anlässlich Hirohitos Thronbesteigung statt.
Jede Art von Pomp war in Davids Augen nur Blendwerk, das die menschlichen Sinne benebeln und von Unzulänglichkeiten ablenken sollte. Dementsprechend sachlich fiel sein Bericht über die Einsetzung Hitos in Amt und Würden aus – sollte sich doch John Martin oder ein anderer Redakteur um die zusammengesetzten Eigenschaftswörter und Time-gerecht verdrehten Sätze kümmern.
Der Zeremonienmeister des Hofes würde verkünden, der neue Kaiser verfüge nun über Japans Heiligtümer – yata no kagami, den heiligen Spiegel seiner göttlichen Ahnfrau, der Sonnengöttin Amaterasu, das heilige Schwert ame no murakamo no tsurugi ihres blutrünstigen Bruders Susanoo und, nicht zu vergessen, yasakani no magatama, das heilige Juwelenhalsband ihrer Schwester Tsuki-no-kami, der Mondgöttin. Anschließend würde der Kaiser im Palast zu seinen Ahnen beten und sie um Hilfe bitten. Nach diesen unverzichtbaren Präliminarien stand eine eingehende Unterredung mit den Beratern auf dem Programm. Es galt, die Devise festzulegen, unter der die Regentschaft des neuen Mikados stehen würde.
Hitos Vater hatte das Motto Taisho. »Erhabene Rechtschaffenheit«, ja nicht unbedingt mit Leben erfüllt. Am erhabensten war noch sein Begräbnis. Aber wie würde sich der stille, nachdenkliche Sohn entscheiden?
Zwei Tage nach Yoshihitos Tod wurde die neue Devise verkündet: Showa sollte sie lauten, »Leuchtender Friede«.
Später – es war während einer geheimen Privataudienz am 31. Dezember – gratulierte David seinem Freund zu dieser Wahl, wenngleich er auch Bedenken äußerte, ob Hito sein Kredo gegen die im Land zunehmend stärker werdenden Militärs würde durchsetzen können.
Hito lächelte schwach. Er war jetzt offiziell ein Gott, auch wenn ihm noch das amtliche Siegel dazu fehlte. Aber David kam er nicht verändert vor. »Ich hoffe, David-kun, deine Bedenken werden sich zerstreuen. Dennoch glaube ich wenigstens für dich eine gute Nachricht zu haben.«
Davids Augenbrauen hoben sich erwartungsvoll.
Hito verzog
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