Der Kreis der Dämmerung 01 - Das Jahrhundertkind
keine Miene, als er sagte: »So hinterhältig Mitsuru Toyama auch ist, hat er sich bis heute doch noch nie gegen das Kaiserhaus gestellt. Er war immer eifrig darauf bedacht, als standhafter Patriot dazustehen. Ich verabscheue diesen Mann, aber für dich, David-kun, werde ich ihn zu meiner Inthronisierung einladen. Selbstverständlich wirst auch du anwesend sein. Ich überlasse dir die Entscheidung, was du aus dieser Gelegenheit machst.«
Die Krönung
Wenn man nach langer Winterzeit den Frühling herbeisehnt und er verspätet sich, so glaubt man, eine neue Eiszeit würde heraufziehen. Das war in etwa die Stimmung, in der sich David in dem Jahr befand, das auf den Tod des Tennos folgte. Eigentlich hätte er es ja besser wissen müssen. Nach Meijis Ableben waren drei Jahre vergangen, bis dessen Spross Yoshihito inthronisiert wurde. Wie lange würde man wohl um einen geisteskranken Gott trauern?
Wieder gingen Wochen ins Land, aus denen Monate wurden. Mehrmals suchte David den Kaiserpalast auf, um mit Hirohito einen Plan auszuarbeiten, wie man Toyama stellen könnte. Alles musste so unauffällig wie möglich vonstatten gehen – darauf bestand der designierte Mikado. Für den Gedanken einer wilden Schießerei oder eines Schwertkampfes während der Krönungsfeier konnte er sich nicht erwärmen. Aber das war auch nur die äußerste Maßnahme in Davids Planspielen. Noch hatte er nicht die endgültige Sicherheit, dass Mitsuru Toyama wirklich derselbe war, den sein Vater vor über vier Jahrzehnten zum ersten Mal gesehen hatte.
Seine erste Aufgabe musste somit darin bestehen, Toyama zu entlarven. Unglücklicherweise wusste er nicht, wie er das anstellen sollte. »Toyama-san, sind Sie vielleicht der Lieblingsbruder Ihres Großmeisters Belial?« Nein, mit dieser Frage würde er wohl nicht ans Ziel kommen. Deshalb galt sein erstes Bestreben der Gefangennahme des Kopfes des Schwarzen Drachens.
Da er Yoshi jederzeit treffen konnte, Hito aber nur nach dem komplizierten Austausch von Kassibern, war vor allem Davids ältester Freund eine Stütze bei der Entwicklung eines Schlachtplanes. Gemeinsam mit Rebekka verbrachten sie ganze Nächte damit, verschiedene Szenarien durchzuspielen oder Möglichkeiten zu erörtern, wie man Toyamas vielleicht doch noch vor der Inthronisierung habhaft werden konnte. Da Rebekkas Japanischkenntnisse noch zu unterentwickelt waren, wurden diese Gespräche grundsätzlich in Englisch geführt.
Oft mussten viel versprechende Ansätze gleich wieder aufgegeben werden, weil man sich allzu leicht im Dickicht des Nationalismus verfangen hätte. So auch an jenem Abend, als sie im Haus der Murrays beisammensaßen und über die Möglichkeit diskutierten die Geheimpolizei in die Suche mit einzubeziehen. Vor ihnen standen die Reste des oyako donburi, eines Reisgerichts mit Hühnerfleisch und Zwiebelrührei, das Rebekka extra für Yoshi gekocht hatte. (Rebekkas Eingewöhnung in die japanische Kultur machte beachtliche Fortschritte.)
»Deine Idee ist im Prinzip sehr gut«, kommentierte Yoshi den Vorschlag seines Freundes. »Die Geheimpolizei hat ihre Spione überall im Land. Aber wir begeben uns da auf ein gefährliches Terrain, das von den Anhängern des kodo beherrscht wird.«
»Wer ist das?«, fragte Rebekka, der das japanische Wort nichts sagte.
David streichelte ihre Wange. »Du hättest besser fragen sollen, was es ist, Schatz. Der Begriff kodo bedeutet ›Weg des Kaisers‹. Um von ihren eigenen Machtgelüsten abzulenken, stellen sich die radikalen Patrioten gerne als glühende Anhänger des Tenno dar. Leider rekrutieren sich die Jünger des kodo zu großen Teilen aus den Militärs.«
»Und Toyamas Gefolgsleute hocken in der Armee wie die Flöhe im Pelz eines Straßenköters«, setzte Yoshi hinzu. »Selbst wenn meine Kontakte zur Geheimpolizei besser wären, als sie tatsächlich sind, sollten wir diese Möglichkeit besser vergessen.«
David nickte enttäuscht.
So war es fast immer. Der einzige Fortschritt, den die Jäger des verborgenen Zirkels seit Hirohitos Thronbesteigung erzielt hatten, war die Entdeckung neuer Schlupfwinkel der Amur-Gesellschaft. Jedes Mal, wenn sie wieder ein Haus oder ein Grundstück aufspüren konnten, das Mitsuru Toyama gehörte, informierten sie über Dr. Hirotaro Hattori den Tenno. Meist meldete sich der kaiserliche Biologielehrer schon nach kurzer Zeit wieder bei David und überbrachte Hitos Antwort.
Dessen Geheimsiegelbewahrer hatte einen listigen Sekretär
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