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Der Kreis der Dämmerung 01 - Das Jahrhundertkind

Titel: Der Kreis der Dämmerung 01 - Das Jahrhundertkind Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Ralf Isau
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vermutlich selbst weinend zusammengebrochen. So aber musste er stark sein, ihr helfen. Als es ihr endlich ein wenig besser ging, sagte er leise: »Ich muss noch einmal zu ihm.«
    »Sollten… Sollten wir nicht besser die Polizei rufen?«, schluchzte sie.
    »Das können wir immer noch tun. Warte hier. Ich bin gleich zurück.«
    David ging noch einmal in das große Tatami-Zimmer. Seine Augen suchten nach etwas ganz Bestimmtem, aber er konnte es nicht entdecken.
    »Komm«, sagte er, nachdem er wieder auf dem Gang bei Rebekka war. Er zog sie zum Nachbarzimmer, schob die Tür auf und blickte sich um. Wieder nichts. Dieselbe Prozedur wiederholte er in drei weiteren Räumen. Endlich blieb er stehen und schüttelte resigniert den Kopf.
    »Es hat keinen Zweck. Mir fehlt die Zeit, um das Haus gründlich auf den Kopf zu stellen.«
    »Aber was suchst du denn überhaupt?«
    »Irgendeine Nachricht. Überleg doch mal: Er hat den ›Schwanz des Drachen entdeckt‹. Das heißt, er hat Double-O gefunden. Yoshi muss geahnt haben, wie gefährlich dieses Wissen für ihn werden könnte. Ich kann einfach nicht glauben, dass er dieses Geheimnis mit ins Grab genommen hat.«
    »Dann denk gefälligst nach!«, fuhr ihn Rebekka unerwartet heftig an. Es war die Wut über den infamen Mord, die ihre Stimme so unerbittlich klingen ließ. »Gibt es einen Tresor in diesem Haus? Einen Schreibtisch, in dem wichtige Dokumente aufbewahrt werden? Irgendeinen Ort, an dem Yoshi diese Nachricht versteckt haben könnte und der euch beiden bekannt ist?«
    Davids Hirn arbeitete auf Hochtouren. »Nein«, flüsterte er. Es waren mehr gesprochene Gedanken. »Natürlich gibt es solche Orte im Haus, aber das wäre zu auffällig. Ich wette, Yoshis Arbeitszimmer im Oberstock ist durchwühlt. Wenn er mir eine Botschaft hinterlassen hat, dann…«
    »Was ist?«
    »Die Schildkröte!«
    »Welche…?«
    »Komm!« David zog Rebekka unsanft den Flur hinab in Richtung Garten. »Die Itos haben einen Steingarten. So ein stilles Fleckchen für besinnliche Augenblicke, das…«
    »Ich weiß, wie ein Zen-Garten aussieht, David.«
    »Na, jedenfalls haben Yoshi und ich ihn, als wir noch klein waren, öfters auf den Kopf gestellt.« David schleppte seine Frau durch den dunklen Garten. Ab und zu, wenn sein sechster Sinn ihn warnte, gab er den Hinweis an Rebekka weiter. »Pass auf, da kommt ein Stein!« Oder: »Jetzt einen großen Schritt machen.«
    Endlich erreichte er die bewusste Stelle. Der Steingarten gehörte zu den unangetasteten Relikten der Vergangenheit. Yoshis Vater hatte ihn immer besonders liebevoll gepflegt. Vermutlich war er deshalb nicht den Modernisierungsmaßnahmen zum Opfer gefallen.
    David kniete sich zu einem großen Stein nieder, der für Rebekka im Zwielicht nur wie ein ovaler Riesenkiesel aussah.
    Mit beiden Händen drehte David die Steinschildkröte auf den Rücken. Unter ihr kam ein helles Rechteck zum Vorschein.
    »Was ist das?«, fragte Rebekka aufgeregt.
    »Ein Umschlag. Es steckt ein Zettel drin.« Davids Stimme zitterte. Mit einem Mal brach der Damm seiner Beherrschung und er fing mit hängendem Kopf haltlos an zu weinen. Das Gefühl, in diesem Wettlauf mit dem Tod vielleicht nur knapp unterlegen zu sein, war unerträglich für ihn. »Yoshi hat bis zuletzt zu mir gehalten. Ich hätte ihn nicht in diese Sache mit hineinziehen dürfen. Jetzt habe ich auch noch sein Leben auf dem Gewissen.«
    Rebekka umarmte ihren am Boden knienden Mann. Er bettete sein Gesicht in ihren Schoß und weinte wie ein kleines Kind. Jetzt war sie es, die ihm Kraft geben musste. Yoshi sollte nicht umsonst gestorben sein. Wenn er den »Schwanz des Drachens« entdeckt hatte, dann wurde es Zeit, ihn daran zu packen.

 
    Drachenfeuer
     
     
     
    »Meinst du, Negromanus hat ihn umgebracht?« Rebekka schmiegte sich enger an Davids Seite.
    Er zog die Bettdecke um ihrer beider Körper. Obwohl die Nacht schwül war, fror er. »Nein. Negromanus hätte ihn auf andere Weise getötet.«
    Wieder trat ein längeres Schweigen ein. Nachdem David von Yoshis Anwesen aus anonym die Polizei verständigt hatte, waren sie beide in die Nacht geflohen, als wären sie selbst die Meuchler. Was hätte David den Polizisten auch sagen können, das wenigstens einigermaßen glaubhaft klang? Alles sah nach der Selbstentleibung eines Mannes aus, der sein Gesicht verloren hatte. Derlei passierte fast täglich irgendwo in Japan.
    Mitsuru Toyama zu belasten, hätte die Lage für David und Rebekka höchstens noch

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