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Der Kreis der Dämmerung 01 - Das Jahrhundertkind

Titel: Der Kreis der Dämmerung 01 - Das Jahrhundertkind Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Ralf Isau
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den Fremden möglichst nur Holländer, Portugiesen und Chinesen befanden.
    Im Jahre 1853 kreuzte dann Commodore Perry von der amerikanischen Marine in der Bucht von Uraga, nahe von Edo auf, um seine schussbereiten Kanonen vorzuführen. Seine »schwarzen Schiffe« hinterließen einen nachhaltigen Eindruck: Der Shogun gab den Zugang zu den Häfen von Shimoda und Hakodate frei. Damit öffnete er das Land nicht nur für den freien Handel, sondern besiegelte auch das baldige Ende der Militärherrschaft der Tokugawa-Dynastie.
    Nicht einmal fünfzehn Jahre später vertrieb das Volk die alten Herrscherfamilien mit der Parole: »Gebt dem Kaiser die Macht zurück und verjagt die Barbaren!« Der letzte Shogun gab Fersengeld und Mutsuhito zog von Kyoto nach Edo, das hinfort Tokyo heißen sollte. Dort, in der »Östlichen Hauptstadt«, wurde aus dem fünfzehnjährigen Jungen ein Gott-Kaiser und der »Vater des neuen Japans«. Von nun an durfte er sich mit dem amtlichen Titel Mikado schmücken. Wichtiger war jedoch das Motto seiner neuen Herrschaft: Meiji. Der Name war zugleich Programm, verkündete er doch eine »erleuchtete Regierung«.
    Erleuchtung. Das mochte pathetisch klingen, aber es war ernst gemeint. Der Tenno, dessen Dynastie von der Sonnengöttin Amaterasu höchstselbst gegründet worden war, blickte auf die Amtsperioden von einhunderteinundzwanzig Vorgängern zurück. Möglicherweise entdeckte Mutsuhito, vulgo Meiji, dabei so viel Widersprüchliches und Verwirrendes, dass er beschloss in seinem Land einmal gründlich aufzuräumen. In seinem kaiserlichen Edikt vom 6. April 1868 verlas er daher: »Überall in der Welt sollen Kenntnisse gesammelt werden, damit sich das Fundament der kaiserlichen Regierung festigt.«
    Neben dem Tenno profitierten vor allem zwei große Clans vom Untergang der Tokugawa-Dynastie: die Satsuma und die Choshu. Sie stellten fast ausschließlich die »weisen Staatsmänner« des Landes, die Genro. Obwohl einander Spinnefeind, webten sie doch gemeinsam das Netz des neuen Nippon. Die Genro besaßen zwar keine offiziellen Funktionen in der Regierung, aber sie waren dennoch die mächtigsten Männer des Landes.
    Der Kaiser oder die Genro oder vielleicht auch alle zusammen holten immer mehr der verhassten Gaijin, der fremden »Barbaren«, ins Land, anstatt sie zu verjagen, wie das Volk es doch gefordert hatte. So ziemlich alles im Westen – von der Rezession dieser Tage einmal abgesehen – weckte Begehrlichkeiten: Dampfmaschinen, Gaslaternen, Kameras, Telegramme, Blitzableiter, Zeitungen, Postkarten, Dampfschiffe und zweirädrige Droschken, so lautete die Aufzählung der neuen Grundbedürfnisse in einem Lied, das die Kinder auf der Straße sangen, als David gerade Krabbeln lernte.
    Die Kleinen hatten in ihrem Liedchen eines vergessen, das den mächtigen Genro besonders am Herzen lag. Ihr Motto lautete fukoku kyohei, »gesundes Land und starke Waffen«. Die Überlegung ist klar: Wenn Nippon von der Sonnengöttin aus der Taufe gehoben worden war, dann gebührte ihm auch eine Stellung an der Seite der mächtigsten Länder der Welt – nach Möglichkeit noch ein wenig darüber.
    Zur Entlastung Japans sei angemerkt, dass die Ausdehnung des eigenen Macht- und Einflussbereichs in dieser Zeit nichts Anstößiges war. Überall spukte in den Köpfen die fixe Idee von der Bestimmung großer Nationen zur Weltmacht. Fremde Völker waren wie herrenloses Strandgut, das man einfach aufsammelte, bevor es jemand anderes tat. Und wenn die Lehrmeister dem Imperialismus frönten, dann konnte man von ihrem Musterschüler Japan wohl kaum Selbstgenügsamkeit verlangen. England hatte es doch auf beispiellose Weise vorgemacht: Seine Kolonien umfassten ein Fünftel der Welt. Wenn im britischen Imperium nie die Sonne unterging, dann war dies vor allem ein Verdienst seiner beherrschenden Macht zur See.
    Eine Marine wie die der Engländer stand daher ganz oben auf der Wunschliste der Genro. Britische Kriegsschiffe hatten die Hauptstadt des Satsuma-Clans dem Erdboden gleichgemacht. Beeindruckend! So etwas wollte man auch haben. Bis 1894 arbeitete man mit jener Ausdauer, die zum Wesen des bushido gehörte, an der Erreichung dieses Ziels. Dann glaubte Yukios Oheim – er war gerade zum zweiten Mal Premierminister –, der Zeitpunkt für eine erste Erprobung des bisher Erreichten sei gekommen. Ein Krieg musste her. Binnen kurzem wurden die Chinesen von der koreanischen Halbinsel vertrieben, die südliche Mandschurei besetzt und die

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