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Der Kreis der Dämmerung 01 - Das Jahrhundertkind

Titel: Der Kreis der Dämmerung 01 - Das Jahrhundertkind Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Ralf Isau
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Trophäe. Du hast sie dir tapfer erstritten.«
    David nahm das Langschwert aus Hitos Hand und zog es aus der Scheide. Die frisch polierte Klinge fing das Licht der tief stehenden Sonne ein und leuchtete wie eine gelbe Flamme.
    »Es glänzt wie reinstes Gold!«, sagte Hito ehrfürchtig.
    Diese Äußerung weckte in David eine lichte Erinnerung. Er lächelte seinen Freund an und antwortete: »Nicht wie Gold, Hito. Für dich soll die Sonne immer in diesem Schwert scheinen. Lass es das Siegel für unsere Freundschaft sein und eine Erinnerung an unsere gemeinsame Zeit. Du wirst es auch leichter haben, dich mit ihm zu zeigen als mit einem kleinen Ball – wenn du einmal Kaiser bist, meine ich. Hier, nimm das goldene Schwert.«
    Damit reichte David dem designierten Kronprinzen das katana zurück und obwohl die Sonne gerade hinter einer Lärche verschwand, blieb ihr goldener Glanz in der Klinge gefangen.
    »Das kann ich nicht annehmen«, sagte Hito mit großen Augen. »Ich habe es doch dir geschenkt.«
    »Nein. Ich habe von dir die Trophäe eines gewonnenen Zweikampfes bekommen, aber die gibt es nicht mehr. Behalte du das katana und ich werde für mich das wakizashi nehmen, für das ich dir sehr danke. «
    »Aber…«, wollte Hirohito erneut widersprechen, doch David ließ es nicht dazu kommen.
    »Es ist dein Kusanagi«, beharrte er mit Anspielung auf das heilige Zauberschwert der Amaterasu und schenkte dem traurigen Jungen ein allerletztes Lächeln. »Nur einem Nachkommen Ninigis gebührt es, dieses Schwert zu tragen. Jetzt schau dir uns beide an: Sehe ich etwa so aus wie der Urenkel der Sonnengöttin oder doch eher du?«
     
     
    Der Abschied von Yoshi vollzog sich in Raten. Es hatten sich zuletzt doch unüberwindbare Probleme aufgetürmt, die einer Mitreise von Davids bestem Freund nach Europa im Wege standen. Hemmend wirkte vor allem der Widerspruch von Vater und Mutter Ito. So rückte die Stunde immer näher, da die beiden Jungen sich Lebewohl sagen mussten. Wien lag auf der anderen Seite der Erde, was häufige Besuche vereitelte. Auch konnte man schwerlich ein Loch bohren, durch das sich Nachrichten schießen ließen. Einen Tag lang witzelten sie zwar über die Machbarkeit dieses Plans, doch als Geoffrey anmerkte, dass England vor kurzem erst das Vorhaben eines Tunnels unter dem Ärmelkanal verworfen habe, ließen sie das kindische Thema fallen. Schließlich war man ja schon erwachsen. Fast jedenfalls.
    Am 13. Juni 1913 gegen zehn Uhr dreißig lief die Queen Victoria aus dem Hafen von Yokohama aus. An Bord waren neben vierhundertsechzig anderen Passagieren auch die Camdens, ihre englischen Bediensteten und das Wichtigste ihrer beweglichen Habe. Unten am Pier winkten Yoshi und seine Eltern. Sie hatten es sich nicht nehmen lassen, die Freunde mit dem Zug nach Yokohama zu begleiten. Yoshi weinte (obwohl er das nicht durfte). David ließ seinen Tränen ohne schlechtes Gewissen freien Lauf. Seine Mutter hatte damit sowieso keine Probleme. Der Vater schwankte zwischen Wehmut und Erleichterung.
    Die letzten Wochen in Tokyo waren für den Earl of Camden eine Tortur gewesen. Als am 18. März der griechische König Georg L in Saloniki erschossen wurde, meldete Geoffrey sich für drei Tage krank. Und das war er wirklich. Ein richtiges Nervenbündel Obwohl es nicht einmal Anzeichen für einen weiteren Attentatsversuch auf die Camdens gab, fühlte er sich trotz seiner zwei Leibwächter nicht mehr sicher. Maggy hatte das Mordkomplott nach etwa zwölf Wochen in einen versteckten Winkel ihres Gedächtnisses verbannt. Wer immer ihnen da ans Leder gewollt habe, sei wohl zu der Einsicht gelangt, dass er dabei nur verlieren könne, meinte sie. Im wahrsten Sinne des Wortes, fügte David in Gedanken hinzu.
    Mit dem erlösenden Telegramm brach in der Camden-Residenz Hektik aus. Maggy lief wie ein Eichhörnchen umher, dem jemand das Schwänzchen in Brand gesteckt hatte. Zwecks Verpackung des in anderthalb Jahrzehnten angesammelten Besitzes scheuchte sie die Dienerschaft in jeden Winkel des Palais. Geoffrey musste derweil die letzten Nägel in das Vertragswerk klopfen, dem New Camden House bald einen neuen Namen verdanken würde. Das Anwesen wechselte in den Besitz des japanischen Außenministeriums. Den Kaufpreis ließ er sich gleich in Goldmünzen auszahlen, die in Kyoto ebenso gern genommen wurden wie in Kairo, Konstantinopel oder in den Karawanken. Das In-die-Wege-Leiten der Inventarverschiffung gehörte noch zu seinen geringsten

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