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Der Kreis der Dämmerung 01 - Das Jahrhundertkind

Titel: Der Kreis der Dämmerung 01 - Das Jahrhundertkind Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Ralf Isau
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Mittwoch geplant. In fünf Tagen also.
    Dieser Entwicklung wohnte eine Tragik inne, die über David herfiel wie eine scheußliche Erkältung. Sie machte ihn schlapp, antriebslos und übellaunig. An dieser Stelle soll gar nicht das gestörte Verhältnis zu Dampfschiffen vertieft werden, das er seit dem Untergang der Titanic mit sich herumtrug. Was David wirklich zu schaffen machte, war die Erkenntnis bald von seinen Freunden Abschied nehmen zu müssen.
    Nur mit Widerwillen ließ sich sein Vater überreden eine förmliche Eildepesche an den Kaiserhof abzusenden. Diplomatische Kanäle seien nicht dazu bestimmt, private Mitteilungen zuzustellen, argumentierte er. Aber David ließ ihm keine Ruhe. Er wandte Hitos Zermürbungstaktik an, die einst sogar den göttlichen Mutsuhito zum Einlenken gezwungen hatte. Der Vater kapitulierte schon nach einer Viertelstunde.
     
     
    Am Sonntag, zwei Tage nach dem Telegramm, saßen Hirohito und David sich im Kronprinzenpalast gegenüber, um voneinander Abschied zu nehmen. Diesmal mussten sogar die Leibwächter draußen warten. Das stille Zimmer war schlicht eingerichtet: Tatamis, Schiebewände, ein kleiner flacher Tisch, nicht viel mehr. Die schon etwas müde Nachmittagssonne lächelte durch ein großes Sprossenfenster und tat ihr Bestes, die betrübte Stimmung im Raum durch ihre warmen Farben aufzupolieren. Aber das half nur bedingt. Die Nachricht von Davids baldiger Abreise hatte den traurigen Jungen noch mehr niedergedrückt.
    »Werden wir uns wieder sehen, David-kun?«
    Der Gefragte lächelte freudlos. »Wenn der zukünftige Tenno mich dann noch empfängt, gewiss.«
    »Für dich stehen die Palasttore immer offen, mein Freund, wenn auch nur die an der Rückseite.«
    »Du wirst lernen müssen deinen Willen durchzusetzen, Hito. Sonst bist du nicht mehr als ein Werkzeug in den Händen deiner angeblichen Diener.«
    »Was könnte ich den Genro schon befehlen? Die weisen Staatsmänner haben viel mehr Erfahrung als ich.«
    »Sie benutzen den Thron doch nur als Schild, um aus dieser sicheren Deckung ihre Pfeile abzufeuern, die kaiserlichen Erlasse, die sie deinem Vater entlocken. Drückt er sein Siegel eigentlich noch selbst auf die Dokumente oder haben sie ihm das auch schon abgenommen?« Für Äußerungen dieser Art hatte in Japan schon so mancher sein Leben eingebüßt, aber wenn David erst einmal die Wahrheit in der Hand hielt, dann konnte man sie ihm schwerlich wieder entreißen.
    Hito stand auch gar nicht der Sinn danach. Eine Zeit lang erforschte er Davids Gesicht und antwortete dann: »Warum bist du so verbittert, David-kun?«
    »Weil ich langsam anfange die Spielregeln der Macht zu verstehen. Weil ich sehe, wie damit den Menschen das Leben zur Hölle gemacht wird. Auch dir, mein Freund!« David senkte den Blick. »Und weil ich so furchtbar traurig bin.«
    »Ich bin auch betrübt. Alle verlassen mich: mein Großvater, Nogi-san und nun du.«
    Die beiden Jungen saßen noch lange beieinander. David ermahnte seinen Freund, mehr aus sich herauszugehen, sich auch mal einen Spaß zu gönnen – vielleicht eine Reise nach England –, ohne Freude könne kein Mensch existieren. Hito verlangte, dass David auf sich Acht gab (die Nachricht vom Hinterhalt hatte ihn zu Jahresbeginn schwer erschüttert). Zuletzt wurden die Jungen sehr still. Alles, was sie einander noch geben konnten, waren sie selbst. Ihre Gegenwart. Ein Stück ihres Lebens.
    Nach einer ungewissen Zeitspanne – auch in der Erinnerung konnte sie keiner von beiden jemals bemessen – betrat der Haushofmeister Takao Hatano den Raum. Auf seinen Händen trug er zwei gebogene Lackscheiden, eine große, leuchtend rote, in der ein Langschwert steckte sowie eine kleinere in Schwarz mit glitzernden Einschlüssen, die ein wakizashi beherbergte. Hito nahm dem Baron die Waffen mit einer leichten Verbeugung ab, entließ ihn mit einem Kopfnicken und hielt die Schwerter sodann David hin.
    »Dies soll mein Abschiedsgeschenk für dich sein, David-kun. Es sind zwei sehr wertvolle alte Schwerter.«
    David blickte ungläubig auf das katana in der roten Scheide. An der auffälligen Griffwickelung erkannte er das Langschwert sogleich wieder. Es war die Waffe, die er dem Meuchler samt Arm abgenommen hatte. »Wo hast du dieses katana her?«, fragte er verdutzt.
    Ein Anflug von Fröhlichkeit huschte über Hitos Gesicht. »Kannst du dir das nicht denken? Es stammt aus der Asservatenkammer der Kaiserlichen Polizei von Tokyo. Ich dachte, du verdienst diese

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