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Der Kreis der Dämmerung 01 - Das Jahrhundertkind

Titel: Der Kreis der Dämmerung 01 - Das Jahrhundertkind Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Ralf Isau
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Depressionen…«
    »Er könnte mich wenigstens ansehen!« , fiel David seiner Mutter unwillig ins Wort.
    »Heute verlässt er zum ersten Mal seit Monaten das Haus. Ich weiß, dass dies deinen Vater viel Kraft kostet. Aber ich hoffe, es wird auch seine Selbstachtung stärken. Gib ihm noch eine Chance, Schatz. Bitte!«
    Einige Sekunden lang widerstand David dem flehenden Blick seiner Mutter, aber dann stieß er zischend die Luft aus und erwiderte: »Ich denke drüber nach.«
    »Danke, David. Wir können morgen ja noch einmal darüber sprechen.« Maggy küsste ihren Sohn auf die Stirn und strich sanft über sein glattes weißes Haar. Dann ging sie mit einem traurigen Lächeln zur Tür.
    »Passt auf euch auf«, rief David, kurz bevor sie verschwand.
    »Du auch. Wir sehen uns morgen früh, falls dein Vater es sich unterwegs nicht noch anders überlegt.« Seine Mutter lächelte – nun etwas entspannter –, winkte ihm mit ihrer behandschuhten Rechten noch ein letztes Mal zu und verließ den Raum.
    David ließ müde den Kopf zur Seite sinken und schloss die Augen. Da hörte er plötzlich ein bekanntes Kichern. Als er aufsah, bemerkte er Großonkel Francis im Türrahmen.
    »Pass gut auf die Fregatte auf, während wir mit unserer Barkasse zum König schippern«, sagte der alte Mann.
    David rang sich ein Grinsen ab. »Aye, aye, Sir, wird gemacht. Grüßen Sie den Steuermann Sam von mir.«
    Der alte Seebär hob zur Bestätigung die Hand, schlurfte brabbelnd davon und ließ David mit seinen düsteren Gedanken allein.
     
     
    David schreckte aus dem Schlaf hoch. Er hatte einen bösen Traum gehabt, konnte sich aber schon nicht mehr an ihn erinnern. Sein Nachthemd war schweißnass, aber seine Stirn eiskalt. Er schaltete das Licht an. Der Blick auf die Uhr überraschte ihn. Es war erst halb elf. Knurrig wie ein aus dem Winterschlaf aufgestörter Bär ließ er sich wieder in die Kissen fallen.
    Alle Versuche einzuschlafen schlugen fehl. David ließ Schäfchen über Hürden hüpfen, übte sich in meditativer Sinnentleerung und konzentrierte sich schließlich auf seinen großen Zeh. Normalerweise half Letzteres immer, aber in dieser Nacht war der Schlaf ein zu scheues Wild, als dass er sich noch einmal herbeilocken ließ. Möglicherweise lag es an der unerklärlichen Angst, die ihn seit dem Erwachen plagte.
    Gegen drei schlüpfte er in seine Pantoffeln, streifte den yukata über, seinen japanischen Hausmantel, und machte sich auf den Weg in die Küche, wo er die Speisekammer inspizierte. Der Anblick von Schinken, Würsten und Käselaiben weckte aber eher Unbehagen in ihm, als dass er seinen Appetit anregte. Also beschränkte er sich auf ein Glas Milch und nahm anschließend Kurs auf das Badezimmer.
    Während er stehend seine Blase entleerte und er auf das Plätschern im Klosett lauschte, schoss ihm plötzlich ein Gedanke durch den Kopf Es war eine verrückte Assoziationskette: Das Spritzen in der Porzellanschüssel hatte ihn an den Regen im Kreuzgang vor nun bald drei Wochen erinnert. Dieses Bild führte ihn zu dem dunklen Schemen. Und der zu seinem Alptraum.
    Er hatte von dem Schatten in der Abtei geträumt!
    David eilte auf den Flur hinaus. Eine innere Unruhe hatte ihn gepackt. Oder war es wieder diese namenlose Furcht, die ihn dem Schlaf entrissen hatte? Jedenfalls stimmte etwas nicht, dessen war er sich ganz sicher. Bald stand er vor Balus Zimmer im Souterrain von Camden Hall und klopfte leise an die Tür.
    Der Tiger von Meghalaya hatte einen leichten Schlaf. Zwei Atemzüge später steckte er seinen zerzausten Haarschopf durch den Türspalt.
    »Ja, Sahib?«
    »Kann ich dich sprechen, Balu?«
    »Ja, Sahib.«
    Balu schickte sich an, die Tür wieder zu schließen – wohl um sein Nachthemd gegen ein würdigeres Gewand zu tauschen –, aber David verhinderte es mit der Hand und einem schnellen Schritt in Richtung Zimmer.
    »Du brauchst dich nicht extra anzuziehen. Wenn es dich nicht stört, komme ich gleich herein.«
    »Nein, Sahib.«
    Wenig später saßen die beiden auf einem handgeknüpften Teppich aus Jalandhar und philosophierten über Davids Traum. Dem Jungen waren Balus Diskussionsbeiträge eine Spur zu transzendent. Der Inder schlug vor, David solle den Traum vom Schemen und der von diesem ausgehenden Furcht auf ein Erlebnis eines früheren Lebens projizieren. Er, Balu, könne ihm helfen durch gewisse Meditationstechniken zu diesen verschütteten Erinnerungen vorzustoßen. Darin besitze er einige Erfahrung. In einer seiner

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