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Der Kreis der Dämmerung 01 - Das Jahrhundertkind

Titel: Der Kreis der Dämmerung 01 - Das Jahrhundertkind Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Ralf Isau
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wie sollte das gehen, wenn der eigene Gatte das Haus nicht verlassen wollte und über seinen Depressionen brütete wie ein Zwergenkönig auf seinem Schatz? Aber nun das: eine Einladung von Seiner Majestät höchstselbst! Und Geoffrey hatte sie einfach den Flammen übergeben wollen.
    Maggy fasste einen Entschluss, von dem sie sich die Lösung ihrer sämtlichen Probleme erhoffte. Wenn es ihr nur gelänge, Geoffrey ein Mal aus seinem emotionalen Verlies zu locken, dann würde dies womöglich die entscheidende Wende herbeiführen. Es würde ihm Selbstvertrauen geben. Ihm zeigen, dass die Welt draußen keine von Dantes infernalischen Visionen war, sondern ein Lebens raum. Vielleicht einer mit Fehlern, mit traurigen Flecken wie dem Großen Krieg, aber zuletzt doch immer noch ein von Gott gegebenes Areal zum Existieren und Glücklichsein und nicht zum Vegetieren oder gar Krepieren.
    Nachdem sie sich lange genug eingeredet hatte, dass Geoffrey gegen ihre Argumente chancenlos war, stürzte sie sich in die Debatte, soll heißen, mit der Einladung ins Schlafzimmer. Geoffrey lag unter seinem Federbett begraben. Allem Anschein nach wartete er auf irgendein Ereignis, das ihm die Rückkehr ins Arbeitszimmer ermöglichen würde: die Gesundung des Heizers Donald, den Abschluss der Aufräumarbeiten bei Saint Augustine oder das Kommen des Frühlings.
    Maggy träufelte ihre Vorschläge durch ein kleines Loch zwischen Kopfkissen und Bettdecke. Einmal nur solle Geoffrey über seinen eigenen Schatten springen und mit ihr zum königlichen Empfang gehen. Er müsse auch nicht in den Zug steigen und sich damit den Blicken fremder Personen aussetzen. Auf Windsor Castle selbst würde er so viele Freunde und Bekannte sehen wie lang nicht mehr. Ohne Frage wäre das Balsam für seine geschundene Seele. Das sähe er doch bestimmt ein, oder?
    Die Bettdecke gab keinen Laut von sich.
    Um die Sache abzukürzen: Maggy musste ihre Antidepressionstherapie eine geschlagene Woche lang ins Ohr ihres Gatten hauchen, bis dieser endlich reagierte. Es war in der Nacht zum 6. März. Sein Flüstern kroch müde, kaum hörbar unter dem Bett hervor.
    »Also gut, aber wir gehen, sobald ich es sage. Und jetzt lass mich bitte schlafen.«
     
     
    Der Empfang auf Windsor Castle sollte am Freitag, dem 17. März, stattfinden. David verfolgte die Vorbereitungen mit nicht allzu großem Interesse, wenn nicht gar mit Widerwillen. Die Zustimmung seines Vaters zu dem Ausflug vor die Tore Londons bedeutete für ihn nur eins: Für meinen Artikel hat er sich nicht interessiert, aber wenn der König mit einer Rebhuhnkeule winkt, dann kommt er gleich angelaufen.
    Als er vier Tage vor dem großen Ereignis anfing zu husten und zu krächzen und am Mittwoch sogar mit hohem Fieber das Bett hüten musste, fühlte er sich schon viel besser. Nun hatte er einen Grund sich vor der Fahrt nach Windsor zu drücken, ohne gleich des Landesverrats bezichtigt zu werden.
    Davids Mutter war untröstlich. Sollen wir alle besser zu Hause bleiben?, bot sie Geoffrey halbherzig an. Ja, sagte dieser. Oder können wir David für eine Nacht allein lassen?, hakte sie nach. Wieder antwortete Geoffrey mit Ja. Maggy seufzte. Ihr Gatte war ihr keine große Hilfe. Sie schwankte eine Zeit lang zwischen beiden Alternativen hin und her (ungefähr fünf Minuten) und entschied dann, man wolle das Wagnis eingehen. Batuswami Bhavabhuti sei ja auch noch da. Er werde an Davids Bett wachen. Dann könne ihrem Sohn nichts passieren. Ja, sagte Geoffrey.
    »Lies nicht so viel, das strengt deine Augen an und du bekommst Kopfschmerzen«, sagte Davids Mutter am Freitagmittag. Obwohl draußen die Sonne schien, trug sie einen grauen Mantel über ihrem langen Kleid. Die Autofahrt hinaus nach Windsor würde zugig werden, nicht nur für den alten Sam eine Tortur.
    Geoffrey stand unter der Tür zu Davids Zimmer und sagte nichts. Er blickte nur leer vor sich hin. David rang sich zu einem Goodbye durch. Vater wiederholte das Wort, drehte sich um und verschwand aus der Tür.
    »Du darfst es ihm nicht übel nehmen, Schatz.«
    David blickte ernst in Mutters Gesicht. Körperlich fühlte er sich zwar schon besser, aber sein Herz glich einem Eisklumpen. »Warum nicht?«
    »Weil er sehr krank ist, David.«
    »Zu krank, um mich auch mal zu loben? Oder meinetwegen auch zu tadeln? Das wäre mir ganz egal. Hauptsache, er würde sich nur irgendwie für mich interessieren.«
    »Das tut er bestimmt. Dein Vater hat nur verlernt es zu zeigen. Seine

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