Der Kreis der Dämmerung 02 - Der Wahrheitsfinder
Botschaft fand er einen besonders aussichtsreichen Kandidaten für die »Bruderschaft«. Sean Griffith stammte aus Belfast, bekleidete den Rang eines Attachés und leitete die Passabteilung. Dank Seans Engagement befanden sich David und Rebekka bald im Besitz neuer britischer Ausweise.
Sean Griffith war ein schlanker Mann Anfang vierzig. Er hatte dunkles welliges Haar, das er auffallend lang trug, und besaß jenen britischen Humor, der oft als Skurrilität verkannt wurde, ihn für David jedoch sofort liebenswert machte. Hinter dem unscheinbaren Äußeren des etwas steif wirkenden Brillenträgers verbarg sich eine bemerkenswerte Scharfsinnigkeit.
Ganz das Gegenteil ihres vielschichtigen Mannes war Sabrina, seine deutsche Frau. Sie trug ihr Herz auf den Lippen, lachte auch einmal über einen plumpen Witz und neigte zu gelegentlichen Tränenausbrüchen. Die beiden hatten Ende 1929 den Bund der Ehe geschlossen, nach der Überwindung einiger Hürden, die eher diplomatischer als zwischenmenschlicher Natur gewesen waren. Die Briten gehörten immerhin zu den alliierten Siegermächten des Großen Krieges, zu jenen Nationen also, die »Deutschland das Blut aussaugten«, wie Sabrinas Vater zu sagen pflegte.
Er arbeitete im Auswärtigen Amt und sympathisierte mit den Nationalsozialisten. Als dann der Young-Plan eine gewisse Entspannung in der Reparationsfrage gebracht hatte, konnte auch Sean dem designierten Schwiegervater endlich die Hand seiner Tochter abringen.
Während des düsteren und regnerischen Berliner Novembers verbrachten David und Rebekka nette Abende in der Bergstraße 70, unweit des Pergamonmuseums. Hier hatte sich das Ehepaar Griffith in einer geräumigen Vorderhauswohnung eingemietet, jener am Richardplatz nicht unähnlich. Bei Wein und einer Runde Bridge plauderte man über dies und das. Oft waren es belanglose Themen, doch weil Sean an viele britische Zeitungen und hochbrisante diplomatische Depeschen herankam, versorgte er David bald mit Informationen aus aller Welt. Entwicklungen und Vorkommnisse, die isoliert betrachtet in keinem Zusammenhang standen – die Dezemberrevolution in Guatemala etwa, die Zuspitzung der Lage in China, das brutale Vorgehen der britischen Kolonialherren in Indien oder der zunehmende Militarismus in Japan –, gewannen im Licht des Jahrhundertplans neue Bedeutung. Sean Griffith wurde daher als wichtige Nachrichtenquelle zu einem Aktivposten in Davids deutschem »Agentennetz«.
Im November erhielt David noch weitere wertvolle Unterstützung. Da im vorausgegangenen Monat das Pergamonmuseum seine Pforten geöffnet hatte, wich allmählich der Druck von den Verantwortlichen des Hauses. Friedrich Delitzsch, der Museumsdirektor, genehmigte für den Time-Reporter »einen kompetenten Helfer«. Der inzwischen wesentlich entspanntere Walter Andrae stellte David den Auserkorenen kurz darauf vor. Er hieß Laszlo Horthy, war gebürtiger Ungar und hatte sich seine wissenschaftlichen Sporen bei den Ausgrabungen in Babylon verdient.
Nicht zuletzt aus diesem Umstand schöpfte David neue Hoffnung für die Suche nach Jasons Tränen. Laszlo Horthy kannte sich hervorragend in den Ausgrabungsdokumenten aus, die er ja teilweise selbst erstellt hatte. Der Archäologe war Anfang fünfzig. Auf seinem dunklen Haupt glitzerten vereinzelte silberne Strähnen, aber der buschige Schnurrbart, der ihm das Aussehen eines einen Meter fünfundsechzig großen Riesenschnauzers verlieh und den er nach jeder Mahlzeit mit Hingabe pflegte, war noch makellos schwarz. Vielleicht gefärbt, mutmaßte David, der den schweigsamen, fast distanzierten Horthy schwer einzuschätzen vermochte. Manchmal, wenn David den Wissenschaftler mit Fragen traktierte, war der auf eine schon unhöfliche Art kurz angebunden, dann wiederum stürzte er sich in das Studium der Ausgrabungstagebücher, Inventarlisten und Nachschlagewerke, als stehe er kurz vor der Entdeckung einer wissenschaftlichen Sensation. Ungeachtet solchen Forscherdrangs lebte der Mann nach sehr strengen Regeln. Dazu gehörte auch die strikte Einhaltung der vormittäglichen Pausenzeit. Das Frühstück wurde um Punkt neun Uhr aus knisterndem Butterbrotpapier befreit, schweigend innerhalb von exakt fünfzehn Minuten verzehrt und nach penibler Entfernung sämtlicher Krümel vom Tisch die Arbeit wieder aufgenommen. Laszlo Horthy gehörte, anders als Sean Griffith, nicht gerade zu den Menschen, die man auf Anhieb lieb gewinnt. Dennoch fühlte sich David ihm gegenüber genauso zu
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