Der Kreis der Dämmerung 02 - Der Wahrheitsfinder
inzwischen zu einer grauen Eminenz gemausert, die über beste Beziehungen zu Hindenburg verfüge und wie dieser nichts sehnlicher wünsche, als die Weimarer Republik durch eine autoritäre Regierung zu ersetzen. Schleicher war Brünings erfolgloses Taktieren leid und strebte eine Veränderung an der Regierungsspitze an.
»Eine Veränderung?«, fragte David, nichts Gutes ahnend. »Vermutlich möchte er Brüning auf dem Kanzlerstuhl beerben.«
Edgar schüttelte ernst den Kopf. »Nein, Schleicher will weiter im Hintergrund bleiben. Er favorisiert einen anderen. Rate mal, wen.«
»Doch nicht Hitler?«
»Dicht daneben, David. Hitler strebt nach Höherem. Er hat sich gerade in Braunschweig zum Regierungsrat ernennen lassen, weil er so automatisch die deutsche Staatsbürgerschaft bekommt. Im April will er Paul von Hindenburg ablösen.«
»Du liebe Güte! Das wird ja immer schlimmer.«
»Nach allem, was ich gehört habe, ist Kurt von Schleicher tatsächlich bereit, mit der NSDAP zu paktieren, um Brüning loszuwerden, aber den österreichischen Gefreiten zum Reichskanzler zu machen – so weit geht sein Idealismus nun doch nicht. Nein, Schleicher will Franz von Papen auf das begehrte Stühlchen setzen.«
David war sprachlos. Diese Wendung hatte er nicht erwartet. Ein Mitglied des Kreises der Dämmerung als Regierungschef eines bevölkerungsreichen Staates – das widersprach allem, was er bisher über die Strategie des verschwiegenen Geheimzirkels gelernt hatte. »Könnte Papen selbst Schleicher zu diesem Plan bewogen haben?«
»Das hat er mir bisher nicht verraten. Er scheint mit Schleichers Wahl jedenfalls nicht unzufrieden zu sein.«
David schüttelte den Kopf. »Irgendetwas passt da nicht zusammen. Entweder unsere Weltverschwörer ändern ihre Taktik oder Papen funktioniert nicht mehr so, wie er es eigentlich sollte.«
Hinter den Kulissen
Es war nicht der kühle, abgeklärte Kreis-Jäger, der da an diesem Dienstagmorgen das ganze Haus mit einem Jubelschrei aufweckte, sondern der Mensch David, der Gefühle hatte und diese auch zeigte – im Übrigen eine Eigenschaft, die man durchaus auch als Stärke auslegen konnte. Der Anlass für seinen Freudenschrei war ein Telefonanruf von Richard Seybold.
»Was ist?«, fragte Rebekka, die erst halb wach aus dem Schlafzimmer tappte.
Davids Hand lag noch auf dem Telefon. Er zitterte. »Das war Rix. Er hat mich eben aus Babelsberg angerufen.«
»Ist das nicht ein Stadtteil von Potsdam?«
»Ein Wohnviertel illustrer Persönlichkeiten sogar. Ich muss unbedingt zu ihm.«
»Halt!«, rief Rebekka und bremste David, der gerade an ihr vorbeistürmen wollte, mit ausgestreckter Hand. »Dürfte ich vielleicht auch erfahren, warum du so aufgekratzt bist?«
»Vor gut einer Stunde, gerade als sich Rix und Hotte vor dem Haus unseres Riesenschnauzers ablösen wollten, traten Vater und Sohn Horthy auf die Straße. Gyula, das ist der Bengel von dem Alten, trug eine ›merkwürdig ausgebeulte braune Papiertüte in der Hand‹ – genau so hat sich Rix ausgedrückt. Unsere beiden Privatdetektive haben sich daraufhin kurzerhand aufgeteilt: einer ist dem Vater, der andere dem Sohn hinterher.«
»Und?«, hakte Rebekka nach, weil David sie wie ein Honigkuchenpferd anstrahlte.
»Gyula ist mit der S-Bahn nach Potsdam. Dort verschwand er in einer noblen Villa, wo er sich vermutlich immer noch aufhält…« Wieder hatte David seinen Bericht unterbrochen, damit Rebekka den nächsten Einwurf machen konnte.
Sie tat ihm den Gefallen. »Bestimmt hat Richard dir auch verraten, wie der Eigentümer der Villa heißt.«
David nickte betont langsam. »Kurt von Schleicher.«
Jetzt war Rebekka wirklich verwundert. »Nein! Ist das nicht…?«
»Genau der. Die graue Eminenz, von der Edgar mir letztens berichtet hat. Derselbe Schleicher, der Franz von Papen auf den Stuhl des Reichskanzlers heben will.«
»Aber was für ein Interesse könnte Schleicher an einer über zweitausend Jahre alten Glaskugel haben?«
»Vielleicht ist er ja in Wirklichkeit gar nicht Papens Mentor, sondern nur sein Handlanger.«
Rebekka sah David einen Moment lang aus schmalen Augen an, dann sagte sie aufgeräumt: »Komm, David, lass uns nach Potsdam fahren.«
Kurze Zeit später saßen sie in einem rumpelnden und quietschenden Zug, der sich auf die südwestliche Stadtgrenze Berlins zubewegte. Die S-Bahn fuhr, anders als ihr Untergrundpendant, über dem Boden, nicht selten sogar auf Pfeilern wie die Hochbahn in
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