Der Kreis der Dämmerung 02 - Der Wahrheitsfinder
entdeckte David nun immer häufiger geduckte Gestalten, die nach der Dämmerung durch die Schatten huschten. Er war sich nicht sicher, ob es sich dabei um versprengte Mitglieder irgendwelcher Kampfverbände handelte oder nur um verängstigte Bürger, die gerade solchen aus dem Weg gehen wollten. Er selbst fühlte sich mit den Schleichern auf seltsame Weise verbunden, wenn auch hinter seiner eigenen Heimlichtuerei gänzlich andere Absichten standen. Bereits seit Wochen beschattete er den ungarischen Riesenschnauzer.
Es war ein zermürbendes Geduldsspiel, das auch Laszlo Horthys geregelter Tagesablauf kaum erträglicher machte. Ironie des Schicksals: Auch David war nun zu einem wandelnden Schatten geworden! Er begleitete Horthy frühmorgens ins Museum und nach Dienstschluss wieder bis vor dessen Haustür. Von einem angemieteten Zimmer auf der anderen Straßenseite aus konnte David bald den Wissenschaftler unauffällig observieren, ohne wie vorher den Unbilden des Wetters ausgesetzt zu sein.
Zwischen den morgen- und abendlichen Phasen größerer Aktivität klafften Zeiten der Untätigkeit – und der Zweifel. Hatte der Ungar die Observierung erst bemerkt, konnte er sie auch auf die verschiedenste Weise durchbrechen. Horthy war verheiratet. Außerdem hatte er einen Sohn, einen fast vierzehnjährigen verzogenen Bengel namens Gyula, der ständig Mundkontakt zu anderen Mädchen suchte. Sie alle im Auge zu behalten war unmöglich.
Selbst wenn Ehefrau und Sohn nicht zu Horthys Komplizen zählten, brauchte er doch nur abzuwarten, bis David sich von seinem Beobachtungsposten entfernte. Dann konnte sich Horthy in aller Ruhe mit einem Mittelsmann treffen und ihm womöglich sogar die Glaskugel anvertrauen. Irgendwann würde es so weit kommen, davon war David felsenfest überzeugt.
Als bis Januar keine derartige Übergabe stattgefunden hatte, wurde David unruhig. Vielleicht wartete er ja auf etwas, das längst geschehen war. Er vertat hier seine Zeit, während die Welt aus den Fugen geriet. Selbst Rebekkas Verständnis für seine Detektiveskapaden ließ nach.
Zu dieser Zeit traf ein Brief aus Indien ein. Er kam von Balu Dreibein. David hing zu später Stunde in einem Sessel und ließ sich von Rebekka die krakelige Handschrift des Tigers von Meghalaya entziffern. Ja, er stehe tatsächlich bei Gandhi in Diensten, schrieb Balu, aber er sei für die »große Seele« mehr hilfreicher Freund als Leibwächter. Seit dem Scheitern der Indien-Konferenz Anfang Dezember könne Gandhi Zuspruch gut gebrauchen. Dennoch glaube er, Balu Dreibein, in dem hoch geachteten Inder einen wertvollen Verbündeten für den Kampf des Sahib gegen die Brandstifter von Camden Hall gefunden zu haben.
Einen Moment lang spielte David mit dem Gedanken, das Schlachtfeld Deutschland verloren zu geben und mit dem nächsten Schiff nach Indien zu reisen. Belial hatte den riesigen asiatischen Kontinent nach Toyamas Tod bestimmt nicht verloren gegeben. Mithilfe des alten Freundes und seiner »großen Seele« mochte es David dort vielleicht schneller gelingen, einen weiteren Erfolg gegen den Kreis der Dämmerung zu erkämpfen. Aber dazu hätte er die Beschattung Horthys aufgeben müssen.
Als David eine dementsprechende Bemerkung machte, erwiderte Rebekka: »Mir ist sowieso schleierhaft, warum du nicht Horst oder Richard um Hilfe bittest. Die beiden sind arbeitslos und wir noch nicht so arm, um ihre Gefälligkeit nicht mit einem bescheidenen Lohn vergüten zu können.«
David war sprachlos. Schließlich brachte er aber doch ein »Du hast Recht« heraus.
»Es ist ja nicht nötig, sie wie Walter gleich in deine Bruderschaft aufzunehmen. Zum Beispiel könntest du ihnen sagen, dieser Horthy werde verdächtigt, einen wertvollen archäologischen Fund unterschlagen zu haben, und du wollest ihm auf die Schliche kommen.«
»Was sie denken lassen wird, zu den Informanten des berühmten Time-Reporters Pratt zu gehören, der einer ganz großen Story auf der Spur ist«, feixte David. »Du bist genial, Schatz!«
Auf Rebekkas Nase erschienen Schmunzelfältchen. »Schön, das mal wieder von dir zu hören, Liebster.«
Nach der »Einstellung« von Horst Lotter und Richard Seybold hatten Rebekka und David nun endlich wieder mehr Zeit für sich. Ihre Liebe war wie eine zarte Pflanze, die nicht nur das Wasser der Zärtlichkeit, sondern auch das Sonnenlicht des regelmäßigen Gedankenaustauschs brauchte. Nach einer Phase der Trockenheit erblühte die Blume jetzt zu neuer
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