Der Kreis der Dämmerung 02 - Der Wahrheitsfinder
Richard Seybold kürzlich aufgeführt hatten, vielleicht wurde Schleicher aber auch wirklich erpresst.
Behutsam säte David Zweifel bezüglich der Person Papens. Noch wagte er nicht, die Glaskugel zur Sprache zu bringen, zumal dies auch nicht unbedingt nötig war, solange der General sie wie seinen Augapfel hütete. Während David seine Begabung geschickt nutzte, um Schleicher in seiner Haltung zu bestärken – »Die Politik ist ein dünnes Eis, auf das man sich nie ohne Rettungsleine wagen sollte« – , wunderte er sich insgeheim über die offene Zustimmung des anderen zu diesem Punkt. Langsam kamen ihm Zweifel, ob der General die Kugel überhaupt jemals an Papen hatte übergeben wollen. Möglicherweise war er ja auch von allein auf den Einfall gekommen, sie als Rückversicherung einzusetzen.
Wie auch immer der große Marionettenspieler im Hintergrund hieß, zunächst galt es, Belials Pläne zu durchkreuzen. Deshalb sprach David nachdrücklich über die Gefahren, die er in einer Regierungsbeteiligung Hitlers sah. Immer darauf bedacht, seine Wahrheitsworte nicht als Einflüsterungen, sondern als die Fragen eines kritischen Reporters klingen zu lassen, setzte er alles daran, Schleicher »umzudrehen«.
Leider blieben die Reaktionen des hohen Beamten unberechenbar Augenscheinlich diktierte Angst das Handeln Schleichers. Ihm diese zu nehmen würde Zeit kosten. Viel Zeit. Daher konzentrierte sich David zuletzt vor allem darauf, den einmal geknüpften Kontakt auch für die Zukunft zu erhalten. Das Gespräch sei für ihn sehr informativ gewesen. Als seriöser Journalist werde er natürlich nichts über Schleicher schreiben, was jenen kompromittieren könne. Ob denn der General an einer – möglichst baldigen – Fortsetzung des Interviews interessiert sei?
Erleichtert nahm David die verhaltene Zusage Schleichers zur Kenntnis. Der General überreichte ihm sogar eine Karte mit seiner persönlichen Anschrift und Telefonnummer.
David gab sich überrascht. »Ach, Sie wohnen in Babelsberg! So nah am schönen Schlosspark von Sanssouci. Ein hübsches Fleckchen, so still und abgelegen.«
»Und dennoch manchmal nicht abgeschieden genug«, knirschte der General.
Im Laufe des Mai trafen beunruhigende Nachrichten von Edgar Jung ein. Kurt von Schleicher verhandelte nun intensiv mit den Nationalsozialisten über den Sturz des Reichskanzlers. David wurde aus dem General einfach nicht schlau. Die Rund-um-die-Uhr-Beschattung von Schleichers Babelsberger Villa hatte erwiesen, dass sich die Glaskugel nach wie vor dort befand. So weit, so gut. Zwar hatte Schleicher alles darangesetzt herauszufinden, welcher Dienst ihn eigentlich »beschützte«, aber bisher ohne Ergebnis. Kein Wunder. Es gab ja im ganzen Reich keine Geheimpolizei mit einem solchen Auftrag.
Weil die ganze Maskerade eher früher als später auffliegen musste, zog David sein Team Ende Mai schweren Herzens aus Potsdam ab. Richard und Horst sollten nicht im Kompetenzgerangel rivalisierender Staatsorgane zerrieben werden. Inständig hoffte er, bei Schleicher so viel Misstrauen gesät zu haben, dass der die Glaskugel für seine Trumpfkarte hielt. In zwei kurzen Telefonaten hatte er leider keine weitere Unterredung herausschlagen können. Die Antwort des persönlichen Sekretärs war immer dieselbe gewesen: keine Zeit.
Am 30. Mai 1932 platzte dann die Bombe. Paul von Hindenburg ließ Heinrich Brüning wie eine heiße Kartoffel fallen und beauftragte seinen Protege Franz von Papen mit der Regierungsbildung. Noch fehlte David der endgültige Beweis für Papens Zugehörigkeit zu Belials geheimer Runde und die jüngste Entwicklung machte ihn ratlos. Ein Mitglied des Kreises der Dämmerung wurde Reichskanzler, Regierungschef in einem Land, das schon einmal einen Weltkrieg vom Zaun gebrochen hatte. Das Bild, das er sich von Papen gemacht hatte, geriet ins Wanken. Dieses Vorpreschen in die Öffentlichkeit widersprach allen taktischen Regeln des Geheimzirkels.
Anfang Juni trafen sich Edgar Jung und David am Richardplatz. Rebekka spielte in der Küche mit Benni Mensch ärgere dich nicht, während sich die beiden Männer im Arbeitszimmer unterhielten.
»Schleicher hat mit der NSDAP ein Stillhalteabkommen geschlossen«, berichtete der Publizist mit finsterer Miene. »Hitler hat sich bereit erklärt, Papens neue Regierung zu tolerieren, wenn der Kanzler dafür das SA-Verbot aufhebt und Neuwahlen für den Reichstag ausschreibt.«
»Sie wollen die Sturmabteilung wieder zulassen?«,
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