Der Kreis der Dämmerung 02 - Der Wahrheitsfinder
japste David. »Das bedeutet endgültig Krieg auf den Straßen. Schon jetzt traut sich ja kaum mehr einer das Wort gegen die Nationalsozialisten zu erheben, aber dann…« Er schüttelte fassungslos den Kopf.
Edgar nickte traurig. »Schleicher glaubt die SA kontrollieren zu können, indem er sie in die von ihm befehligte Reichswehr eingliedert.«
»Das klingt für mich wie der sprichwörtliche Tanz auf dem Vulkan. Wenn er sich da nur nicht verrechnet!«
»Du hast Recht. Wenn sich diese Entwicklung fortsetzt, hat Hindenburg bald überhaupt keine andere Wahl, als die NSDAP an der Regierung zu beteiligen.«
»Könnte der Kreis der Dämmerung in Wirklichkeit das bezwecken?«
»Es würde zumindest erklären, weshalb Papen sich so weit aus dem Fenster lehnt.«
David nickte. Das ergab wirklich einen Sinn. Nachdem Papen für Hitler den Steigbügelhalter gespielt hatte, konnte er ja wieder ins zweite Glied zurücktreten. Die Lage wurde immer bedrohlicher, »Wir müssen etwas dagegen unternehmen, Edgar!«
»Du bist gut. Soll ich Papen etwa einen Dolch in den Rücken stoßen?«
»Bevor wir zu solch drastischen Maßnahmen greifen, versuchen wir lieber etwas anderes. Ich bleibe weiter an Schleicher dran. Und du hast inzwischen doch das Vertrauen Papens gewonnen, nicht wahr?«
»Ich denke schon. Dennoch weiht er mich nicht in alle seine Pläne ein.«
»Ist auch gar nicht nötig. Hat unser neuer Reichskanzler schon einen Redenschreiber?«
»Du meinst doch nicht, ich… ?«
»Edgar, ich weiß, was es für dich bedeutet, jemanden Worte in den Mund legen zu müssen, die nicht deiner tiefsten Überzeugung entsprechen. Aber überleg doch einmal: Du bist ein fähiger Publizist, du genießt Papens Vertrauen – das sind zwei wichtige Voraussetzungen.«
»Und was bezweckst du mit dieser Rollenbesetzung?«
David überlegte, ob er Edgar von der gläsernen »Träne« erzählen sollte, die jetzt ein so schwer durchschaubarer Mann hütete. Und von Jasons Geschichte. Von dem Machtgerangel zwischen Philipp II. und seinem Sohn Alexander dem Großen. Von einem Logenbruder Belials, der untreu wurde…
»Du müsstest Papen davon überzeugen, dass Hitler für ihn eine Gefahr bedeutet. Macht korrumpiert. Wenn Papen und Hitler einander bekriegen, können sich die gemäßigten Kräfte im Land vielleicht gegen die National-Sozialisten behaupten. Sollte das eintreten, müssen wir Papens Kompetenz infrage stellen, damit ein anderer ihn als Reichskanzler ablösen kann. Jemand, der vielleicht die Stabilität im Land wiederherstellt.«
Edgar nickte. »Also gut, ich werde mein Bestes tun. Aber du bist dir doch darüber im Klaren, was für ein gefährliches Spiel wir hier treiben, oder? Wir fingern gewissermaßen an der Büchse der Pandora herum, ohne zu wissen, was wir damit heraufbeschwören.«
Vertrauenssache
Kurt von Schleicher hatte David ausgetrickst, vielleicht nicht bewusst, aber die Wirkung war dennoch verheerend. Mit Franz von Papen saß nun ein Mann auf dem Stuhl des Reichskanzlers, dessen Regierungsstil ziemlich genau der »Politik« entsprach, die David von einem Logenbruder Belials erwartete. Nach außen hin ging Papen mit seinem »Kabinett der nationalen Konzentration« zwar auf Distanz zu den Nationalsozialisten, aber in Wirklichkeit machte er ihnen Geschenke, wie die Aufhebung des SA-Verbots deutlich zeigte. Angesichts dessen wirkten seine angeblichen Versuche den Straßenunruhen ein Ende zu setzen, indem er Hindenburg zum »Preußenputsch« vom 20. Juli überredete, ziemlich unglaubhaft – per Notverordnung wurde das preußische Landeskabinett aufgelöst und stattdessen Papen zum Reichskommissar bestellt.
Was steckte wirklich hinter dieser Taktik? David machte sich ernste Sorgen. Da war zum einen dieser unberechenbare Schleicher, der auf Jasons Träne saß wie ein Zwergenkönig auf seinem Juwelenschatz, und zum anderen der ungewisse Ausgang der für den 31. Juli ausgeschriebenen Neuwahlen. Aus allen Ritzen des Landes schien nun ein zäher brauner Brei zu quellen. Man konnte kaum noch eine größere Straße entlanggehen, ohne ständig mit Hitlers Hakenkreuzen konfrontiert zu werden oder irgendwo seiner plakatierten Visage zu begegnen. Der Jahrhundertplan gedieh und Davids Mittel dagegen anzugehen waren allmählich ausgereizt. Als er Anfang Juli einen Interviewtermin beim Reichspräsidenten Paul von Hindenburg bekam, beschloss er daher, seine ganzen Fähigkeiten in die Waagschale zu werfen.
Mit frisch
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