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Der Kreis der Dämmerung 02 - Der Wahrheitsfinder

Titel: Der Kreis der Dämmerung 02 - Der Wahrheitsfinder Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Ralf Isau
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Rodeln möglichst wenige Leute über den Haufen fahrt«, ermahnte David die beiden Wintersportler.
    »Pass du lieber auf, dass dich die Braunhemden nicht in die Mangel nehmen«, erwiderte Rebekka und verabschiedete sich mit einem Kuss.
    David blickte den beiden noch einen Moment nach. Sie gaben ein wirklich schönes Bild ab. Jeder Außenstehende musste sie für Mutter und Kind halten. Als sie nach links in einen Parkweg einbogen, wandte er sich wieder seinem eigenen Vorhaben zu.
    Eigentlich wollte er nur einmal den Schnauzbart erleben, der so viele Menschen in seinen Bann schlug. Zwar hatte er Hitler schon in mehreren Wochenschauen gesehen – jenen kurzen Informationsfilmchen, die er sich hin und wieder mit Rebekka anzuschauen pflegte –, aber das dunkelhaarige Männchen, das da mit durchgedrücktem Rücken über die Leinwand stolzierte und in seltsam abgehackter Sprache seine Parolen über das Volk verstreute wie ein Karnevalsprinz die Kamellen, war ihm dennoch ein Rätsel Hitlers Parteigenossen nannten ihn respektvoll »Führer«, übrigens genauso wie Mussolini, der sich ja als Duce vergöttern ließ. Konnte so ein Mann wirklich ein ganzes Land an der Nase herumführen?
    Einige Meter vor dem Eingang zur Neuen Welt blieb David unschlüssig stehen. Er hatte mit Rebekka in dieser Halle einmal eine Ausstellung besucht. Auch Frühjahrsbälle wurden hier veranstaltet, es gab Vorträge über schonende Körperentschlackung, legendäre Bockbierfeste und eben auch Wahlveranstaltungen. Unmittelbar neben dem Festsaal wurde Sportliches groß geschrieben: Reiten auf Karussellpferden, Fahren auf einer Berg- und Talbahn und Kahnrutschen auf einer (nur in der warmen Jahreszeit) bewässerten schiefen Ebene. Zur Bekämpfung des anschließenden Hungers wurden halbe Ochsen am Spieß gebraten. Regelmäßig schrieben Plakate die kuriosesten Wettbewerbe aus. Prämiert wurden etwa die dicksten Zöpfe, die längsten Nasen – und, wie an diesem Sonntag, der untypischste Herrenmensch.
    Von der Joleite hatte David bereits erfahren, wie die Nationalsozialisten sich den Norm-Arier vorstellten, nämlich als großen, starken, blonden, blauäugigen Germanen, natürlich allen Menschen anderer »Rasse« überlegen. Seltsam nur, dass weder Hitler noch Goebbels, weder Göring noch Röhm diesem Idealbild entsprachen.
    Während David all dies durch den Kopf ging, beobachtete er eine Reihe von Delegierten, die sich am Eingang der Neuen Welt gegenüber wichtig dreinblickenden SA-Ordnern auswiesen. Nicht die Erstürmung, sondern der Schutz von Sälen vor einer selbigen war die offizielle Aufgabe von Hitlers Sturmabteilung. Mit Bestürzung musste David feststellen, dass er weder über eine Einladung noch eine Kennkarte, oder was auch immer die Veranstaltungsteilnehmer den Braunhemden unter die Nase hielten, verfügte. Sollte er diese Schnapsidee einfach vergessen und lieber mit Rebekka und Benni die Rixdorfer Höhe hinunterrutschen? Aber vielleicht gab es doch eine Möglichkeit, in den Saal hineinzukommen. David hatte da so eine Idee.
    Er wartete geduldig, bis eine Gruppe von fünf oder sechs Delegierten vor den Türwächtern erschien. Der erste zeigte seinen Ausweis, der zweite, dritte, vierte… David sah, wie der vorletzte Parteigenosse seine soeben kontrollierte Karte wieder in die Manteltasche zurückschob. Er konzentrierte sich auf das Papier, entriss es gewissermaßen der Vorwärtsbewegung des in den Saal eilenden Mannes, indem er die Zeit für die Karte einfach etwas langsamer vergehen ließ. Der Ausweis rutschte aus der Tasche heraus und…
    »Ich Tölpel! Jetzt ist sie nass geworden«, schimpfte David mit sich selbst. Er war vor dem misstrauischen SA-Mann in die Hocke gegangen und hob eine vom Schneematsch beschmutzte Einladung auf. Demonstrativ wedelte er damit vor den Augen des Ordners. »Ich glaube, sauber wird sie nicht mehr«, sagte er entschuldigend.
    »Schon gut«, brummte der Türhüter grimmig. »Halten Sie hier nicht den ganzen Verkehr auf und gehen Sie endlich rein.«
    David hatte die erste Hürde genommen, der Rest schien vergleichsweise einfach. Der große Hauptsaal der Neuen Welt war mit langen Tischen voll gestellt, an denen es noch ausreichend freie Plätze gab. Etliche der Delegierten hatten Bierkrüge vor sich stehen. Das Ganze erinnerte mehr an die sonst hier abgehaltenen Bockbierfeste als an eine Propagandaveranstaltung. Anscheinend hatte es die NSDAP dringend nötig, die Stimmung ihrer Genossen zu heben.
    David erkundete

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