Der Kreis der Dämmerung 02 - Der Wahrheitsfinder
betuchte Bürger, die sich diese spezielle Gattung von Bediensteten leisten konnten, Personal, das sein Leben voll und ganz dem hochherrschaftlichen Nachwuchs widmete, insbesondere dem Füttern und Reinigen desselben. Im Tierpark trafen sich die Kindermädchen regelmäßig zum Erfahrungsaustausch. David und Edgar Jung taten das Gleiche, nur ohne Windelkutsche.
»Unser geschasster Reichskanzler will sich nicht geschlagen geben«, berichtete Edgar mit dampfendem Atem, während sie den Enten im kalten Wasser zusahen. Die Terrasse des Seecafes war leer geräumt, das Ausflugslokal geschlossen. Aus der Ferne wehten die heiseren Schreie der Krähen herüber.
»Papen?«, entgegnete David, obwohl er genau wusste, von wem Edgar sprach.
»Er brütet vor sich hin. Irgendetwas heckt er aus. Aber er will sich mir nicht anvertrauen.«
David war angespannt. Ihn fröstelte. »Aber es muss doch irgendwelche Anhaltspunkte geben, Edgar. Denk nach! Es ist wichtig.«
Eine Weile lang verfolgten sie mit den Augen ein Pärchen, das im Kielwasser eines ausladenden Kinderwagens ganz nahe vorüberzog. Das Kind brüllte, die junge Frau lachte und der SA-Mann übte sich im Versprühen von Charme. Selbst hier war man vor den Braunhemden von Hitlers Sturmabteilung nicht mehr sicher.
Unwillkürlich senkte Edgar bei seiner Antwort die Stimme. »Als ich Papen neulich besuchte, hörte ich ihn mit einem Sekthändler telefonieren, einem gewissen Herrn Ribbentrop.«
David horchte auf. »Joachim von Ribbentrop ist ein einflussreicher NSDAP-Funktionär, Was hast du mitbekommen?«
»Zuerst ging es tatsächlich um Schaumwein, aber dann fielen Namen, die mich stutzen ließen: Wilhelm Frick, Hermann Göring, Otto Meißner, Oberst Oskar von Hindenburg…«
»Der Sohn des Reichspräsidenten?« David pfiff leise durch die Zähne. »Ein Industrieller, Hitlers Berlin-Beauftragter, Hindenburgs Staatssekretär und auch noch der Filius – riecht nach einer ziemlich dicken Verschwörung. Worüber wurde sonst noch gesprochen?«
»Keine Ahnung. Papen hat plötzlich die Tür zu seinem Arbeitszimmer geschlossen und ich konnte nichts mehr hören.«
»Hat er dich bemerkt?«
»Ich glaube nicht.«
»Sei bitte vorsichtig, Edgar! Dieser Mann ist gefährlich. Aber bleib an der Sache dran, und sobald du etwas erfährst, unterrichtest du mich.« Und dem davonziehenden SA-Herzensbrecher nachblickend fügte David hinzu: »Wir müssen herausfinden, was Papen plant. Ich traue ihm nicht über den Weg.«
Weil Hitler sich von Hindenburg nicht durch eine Präsidialregierung gängeln lassen wollte, machte der Generalfeldmarschall am 3. Dezember Kurt von Schleicher zum Reichskanzler, dem dritten innerhalb weniger Monate. David wurde von dieser Entwicklung völlig überrascht. Franz von Papen und Adolf Hitler waren zwar angeschlagen, aber verletzte Raubtiere sind ja bekanntlich die gefährlichsten. Er musste alles daransetzen, diese Gegner nun endgültig aus dem Feld zu räumen.
Schleicher erhoffte sich die hierzu notwendige Stärkung seiner Position, indem er einen außenpolitischen Erfolg anstrebte. Kaum im Amt, verabschiedete er sich daher zu einer Fünfmächtekonferenz nach Genf, wo er Deutschlands Ansehen aufpolieren wollte. David wünschte ihm Glück, obwohl der Zeitpunkt der Reise ihm nicht behagte. Konnte man Papen und Hitler wirklich allein lassen? Er würde mit Argusaugen über jeden ihrer Schritte wachen.
Der Besuch einer Propagandaveranstaltung der Nationalsozialisten schien David für diesen Zweck geradezu wie geschaffen. Sie hatten verlorenen Boden gutzumachen. Deshalb wollte die ganze Parteispitze kurz vor Weihnachten bei einer Versammlung in der Neuen Welt auftreten.
Rebekka war wenig erbaut darüber, David inmitten einer Schar von SA-Schlägern zu wissen, und auch die Versicherung half da wenig, die NSDAP bestehe ja nicht allein aus der Sturmabteilung, David musste ihr versprechen, keinem einzigen SA-Mann die Uniform rot zu färben.
Es war der 18, Dezember 1932, ein Sonntag, Die Veranstaltung begann um drei. Obwohl es geschneit hatte und empfindlich kalt war, wollte Rebekka ihren Mann bis vor die Pforten der Neuen Welt begleiten. Benni klebte an ihrer einen Hand, die andere hielt die Schnur eines Schlittens, Der Kleine war schon ganz wild darauf, David endlich loszuwerden, um mit »Tante Bekka« zur Rixdorfer Höhe weiterzuziehen, einem Hügel im angrenzenden Volkspark Hasenheide, Dort sollte David die beiden auch wieder aufgabeln.
»Seht zu, dass ihr beim
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